Das bunte Bild des Diversity Management in Deutschland

Anlässlich der Diversity Konferenz des ‚Tagesspiegel‘ in Berlin stellten EY und die Charta der Vielfalt die Ergebnisse einer Unternehmensbefragung vor. Sie zeigt, dass das Thema Vielfalt in den Firmen angekommen ist und der Business Case grundsätzlich gesehen wird. Die Ergebnisse zeigen jedoch auch, dass meist keine strategische Positionierung von Diversity erfolgt und die Umsetzung operative Schwerpunkte, vor allem im Personalkontext, aufweist.

Das Jubiläum ‚10 Jahre Charta der Vielfalt‘ bot den idealen Anlass für eine Zwischenbilanz. Denn die Initiative entstand nicht nur als Selbstverpflichtung, sondern vor allem mit dem Ziel, den Diversity-Ansatz in die Wirtschaft zu tragen und idealerweise dort zu verankern. Anfängliche Erwartungen der damaligen Starthelferin, Prof. Dr. Maria Böhmer, ihrerzeit Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, 100 Unterzeichner wären bereits ein Erfolg wurden rasch um ein vielfaches übertroffen. Beeindruckende 2.400 Unterzeichner mit zusammen 8,1 Millionen Beschäftigten drückten seither ihren Willen aus, Vielfalt und Offenheit zu fördern. Eine groß angelegte Studie von EY untersuchte nun, wie viel Diversity Management in welchen Bereichen angekommen ist. Im Unterschied zu früheren Praxis-Studien arbeitete die aktuelle Umfrage mit zwei Stichproben: 250 repräsentativ ausgewählte Unternehmen, die die Charta (noch) nicht unterzeichnet haben und 349 Unterzeichner. Erwartungsgemäß zeigen sich Unterschiede zwischen diesen Gruppen.

Diversity-Aktivitäten jetzt und in Zukunft

Es überrascht, dass sich die Rangfolge der umgesetzten Maßnahmen zwischen Unterzeichnern und nationalem Querschnitt in der oberen Hälfte wenig unterscheidet: 5 der 7 häufigeren umgesetzten Maßnahmen gehören der Personalwertschöpfungskette an (Flexibilisierungen, Personalentwicklung, und –auswahl). Allerdings liegt die Häufigkeit der Umsetzung bei den Charta-Unterzeichnern mehr als doppelt so hoch wie in der Vergleichsgruppe. Eine klare Sprache sprechen indes die weiteren Prioritäten: Charta-Unterzeichner nennen die Verankerung von Diversity in der Strategie am dritthäufigsten und die Zielgruppenansprache landet auf Platz 6 (von 14). Bei den Nichtunterzeichnern rangieren dagegen die sogenannten klassischen Diversity-Instrumente wie Mentoring und Netzwerke auf Plätzen der vorderen Hälfte (6 & 7). Auffällig ist die Aktivität mit dem größten Delta der beiden Stichproben: Nur 4% des nationalen Querschnitts geben an, eine Zuständigkeit für Diversity Management (Abteilung oder Verantwortung) eingerichtet zu haben, bei den Unterzeichnern sind dies 29%. Insgesamt liegt das Aktivitätsniveau der Unterzeichner bei 81% (umgesetzte Maßnahmen), während der Vergleichsschnitt bei 33% liegt. Sowohl der große Unterschied wie auch die Tatsache, dass nicht alle Unterzeichner von konkreten Maßnahmen berichten, dürfte verschiedene Gründe haben:

  • Eine repräsentative Stichprobe von Unternehmen enthält eine große Zahl von mittleren, kleinen und Kleinstunternehmen, die seltener spezifische Aktivitäten zu Diversity entfalten
  • Unterzeichner verstärken mit ihrer Unterschrift eine vielfaltsfördernde Grundhaltung oder bereits etablierte (dauerhafte) Maßnahmen; beides wollen oder müssen sie nicht zwingend ergänzen

Der letztere Punkt spiegelt sich auch in der Planungsfrage wider: 66% der Charta-Unterzeichner planen (zusätzliche oder erste) Diversity-Maßnahmen. Dies bedeutet auch, dass 33% keinen konkreten Handlungsbedarf sehen; wie viele von diesen bereits Maßnahmen umgesetzt haben, geht aus dem Studienbericht nicht hervor. Im nationalen Querschnitt sehen 81 % der Befragten keinen Handlungsbedarf, 19% planen Diversity-Maßnahmen. Dies mag ein Grund sein, weshalb sich Ana-Cristina Grohnert, Vorstandsvorsitzende des Trägervereins der Charta und Personalchefin bei EY beunruhigt äußert: „Der Wettbewerbsfaktor Vielfalt wird unterschätzt“, sagte sie anlässlich der Vorstellung der Studie. Zwei Drittel der Unternehmen seien auf absehbare Veränderungen nicht vorbereitet.

Einflussfaktoren Unternehmensgröße und Geschäftsmodell

Dass große und/oder internationale Unternehmen eine stärkere Affinität zu Diversity Management haben, zeigen Ergebnisse einer Befragung der Deutsch-Amerikanischen Handelskammer AmCham unter 51 nicht-repräsentativen Firmen. 62% von diesen haben weltweit über 10.000 und rund 60% haben deutschlandweit über 1.000 MitarbeiterInnen. Ebenfalls 60% gehören zu einem internationalen Konzern mit Hauptsitz außerhalb Deutschlands. Von den 51 Firmen geben 60% an, Diversity in der Strategie verankert zu haben und 88% sagen, dass die Bedeutung in den vergangenen zehn Jahren zugenommen hat. „Wie in früheren Studien zeigt dies, dass internationale Geschäftsumfelder den Zugang zu Diversity erleichtern“, kommentiert Diversity-Forscher Michael Stuber. Dass es große Unternehmen mit Diversity leichter hätten, weil sie es sich leisten könnten, findet Stuber zu kurz gedacht. „Studien zeigen, dass große und vor allem hierarchische Organisationen größere Herausforderungen mit Vielfalt haben“, sagt er. Außerdem fänden diese eine kritische Masse von Themen vor. In der Umsetzung täten sie sich leichter, da sie eine größere Arbeitsteilung – und damit Spezialisierung – vornähmen. Über alle Organisationskategorien hinweg konstant ist dagegen die Priorisierung von Dimensionen.

Nach 15 Jahren: Unverändertes Themen-Ranking

Egal, ob eine Studie nach wahrgenommener Bedeutung, Bearbeitungsintensität oder Zukunftspotenzial fragt: Die Rangliste der Diversity-Themen fällt seit 15 Jahren im Wesentlichen gleich aus. Die drei G’s liegen meist in der vorderen Hälfte: Geschlecht, Geographie (Herkunft oder Internationalität), Generation. Die restlichen Kerndimensionen dahinter (Behinderung, sexuelle Orientierung, Religion). Auch die AmCham-Befragung kam zu diesem Ergebnis, allerdings mit der Besonderheit, dass das Thema Behinderung auf Platz 3 lag. Auch die EY/Charta-Studie fand heraus, dass in diesem Thema viele Unternehmen Handlungsbedarf sehen; ähnlich viele, wie für die Themen Ethnie/Internationalität oder Alter. Auf den ersten Blick überraschend mutet an, dass relativ viele Unternehmen im Bereich Geschlecht keinen Handlungsbedarf sehen – dies dürfte aber eher an der gut entwickelten Programmlandschaft und an gesetzlichen Vorgaben liegen. In der Frage des Handlungsbedarfs zeigt die Charta nochmals ihre Wirkung: Unterzeichner sehen in allen Themen durchweg seltener keinen Handlungsbedarf als Nichtunterzeichner. Positiv interpretiert: Die Zugehörigkeit zur Charta schärft den Blick für nötige Maßnahmen – und für die Wirtschaftlichkeit.

Business Case für Diversity: Klar und doch nicht klar genug

Die Frage nach den wahrgenommenen Vorteilen, die aus Diversity Management entstehen, stellt einen Klassiker vieler Studien dar. Die Antworten sagen viel über die Befragten selbst und die Positionierung des Themas aus. Drei der fünf meistgenannten Vorteile beziehen sich auf die Wertschöpfung durch die Belegschaft: Zufriedenheit, Motivation, Ressourcennutzung. Charta-Unterzeichner haben zudem die Innovationsfähigkeit und den gesellschaftlichen Wandel ‚auf dem Zettel‘. Compliance ist für sie weniger ein Antrieb, für Nichtunterzeichner deutlich mehr. Die großen Business-Themen Kostenmanagement und Marktzugang (oder Wachstum) landen auf hinteren Plätzen. Teamwork, Komplexitätsbewältigung oder Globalisierung waren nicht abgefragt worden. „Der Business Case muss differenziert formuliert und kommuniziert werden“, kommentiert Michael Stuber die Ergebnisse. Der strategische Nutzen für Innovation, Globalisierung oder Anpassungsfähigkeit entfaltet eine andere Argumentationskraft wie der operativ messbare Return on Investment in Bezug auf Produktivität, Zusammenarbeit oder Talentgewinnung. Das Aufzeigen der unmittelbaren Dringlichkeit für Diversity führt als eigene Linie zu Umsetzungsentscheidungen; sie sollte über Gap- und Treiber-Analysen erfolgen. Die verschiedenen Elemente des Business Case für Diversity eignen sich auch, auf die Vertreter unterschiedlicher Typologien einzugehen, die die EY/Charta-Studie vorstellt.

Sag mir, was Du bist: Skeptiker, Pragmatiker, Kommunikatoren und Strategen

Eine neue Sichtweise auf die Akteure (und Zielgruppen) des Diversity Managements bietet die erkenntnisreiche Clustereinteilung auf Basis von Antwortmustern. Die etwas größeren Gruppen der Skeptiker und Pragmatiker sind vor allem im nationalen Querschnitt vertreten, die Kommunikatoren und Strategen dagegen häufiger bei den Charta-Unterzeichnern. Die vier Typen zeigten auch unterschiedliche Einstellungen zu Diversity, die separat erfragt wurden. Strategen und Kommunikatoren sehen Diversity (vor allem) als Grundlage für den künftigen Erfolg von Unternehmen. Pragmatiker sehen Diversity (vor allem) als eine Frage des konkreten Bedarfs (und nicht als Wert an sich). Skeptiker glauben (vor allem), dass man Diversity nicht trainieren kann und dass trotz Engagement wenig Änderung zu beobachten sei. Die geringste Zustimmung hat ein Statement erhalten, das Machtinteressen als Hindernis für Diversity sieht.

Was wirkt – und wieviel?

Die Frage nach der Wirkungskraft bestimmter Maßnahmen knüpfte die EY/Charta-Studie an die Überwindung etwaiger Widerstände. Ähnlich wie in früheren Studien liegen Management-Support, Leuchtturmprojekte und Trainings für Führungskräfte auf den vorderen Plätzen. Charta-Unterzeichner zeigen sich emanzipiert und ranken Management-Support (hauchdünn) auf Platz 2 – sie kennen die Stärke herausragend erfolgreicher Beispiele. Dies passt zum Ergebnis der wahrscheinlich ersten Studien über Widerstände gegen Diversity (2003). Damals basierten die meisten Vorbehalten auf Fragen der Praktizierbarkeit. Weiterhin fehlte (schon damals) das Verständnis für Diversity als Mehrwert. In dieser Hinsicht ist es verwunderlich, dass die Befragten wenig Zutrauen in die Erfolgskontrollen (Evaluationen) haben. Dieser Aspekt wurde jedoch mit „Quoten“ kombiniert, was die geringe Zustimmung erklären mag. Andererseits findet das Konzept der Erfolgsmessung in der EY-Studie durchaus Freunde: 69% glauben an die Möglichkeit, den Erfolg zu messen, vor allem die Cluster der Strategen und der Kommunikatoren, und vor allem die Charta-Unterzeichner. Diese kennen zudem die Relevanz vermeintlich weicher Kriterien. Davon unabhängig sehen beide Stichproben die Wahrnehmung von Beschäftigten als die wichtigste Informationsquelle für eine Erfolgsmessung an. Hierin besteht ein erfreulicher Unterschied zu früheren Studien, in denen fast ausschließlich Kriterien aus dem Kontext des Personal-Controlling genannt wurden. Diese bilden immer noch 60% der genannten Indikatoren. Kennzahlen, die näher am Business angesiedelt sind (Produktivität, Finanzkennzahlen) werden erstaunlicherweise seltener als geeignet eingestuft. Eine Unterscheidung in ziel- vs. prozessbasierte Messverfahren erfolgte ansatzweise bzw. implizit.

Erkenntnisse und Empfehlungen: Mehrwerte, Zielgruppen, „Denkumstellung“

Die Studie zeigt, dass Diversity Management in Deutschland weit vorangekommen ist und die Charta ihre Mission bestens erfüllt. Die größten Defizite sind im Bereich des Business Case erkennbar, der anscheinend nicht zielgruppengerecht (genug) aufbereitet wird und sich zu wenig auf belastbare Studien stützt. Auch wenn noch einige Studienergebnisse auf einen hohen HR-Fokus hinweisen, so zeigt sich doch eine deutliche Verbreiterung des Diversity-Ansatzes, u.a. in Richtung Unternehmens- und Führungskultur. Dies ist ganz im Sinne der Charta-Geschäftsführerin Aletta Gräfin von Hardenberg: „Diversity ist kein Minderheitenprogramm, sondern einen Denkumstellung“, sagt sie pointiert und fügt mit Blick auf die nötigen Veränderungen hinzu „Diversity Management darf daher kein Projekt sein, das irgendwann endet, sondern muss als Change-Prozess die etablierten Routinen und die Kultur immer wieder neu herausfordern“.

Dies mag auch als Leitgedanke und Motivation für jene Diversity-ManagerInnen hilfreich sein, die zweifeln, ob die Arbeit der letzten 20 Jahre genug Fortschritt bewirkt hat. Die aktuellen Studien illustrieren dies gerade im Vergleich zu früheren Analysen. Gleichwohl zeigen immer mehr Beispiele, dass es künftig wichtiger wird, dass Organisationen einen Aktivitätenmix entwickeln, der auf ihre Situation zugeschnitten ist und alle relevanten Zielgruppen abdeckt. Mehrdimensionale und organische Veränderungsprozesse werden einige der strukturierten Programme ablösen. Die nächsten 10 Jahre werden somit ebenfalls spannend.

Studie EY & Charta der Vielfalt : 80 Seiten inkl. 35 Seiten Interviews mit 18 Top-Managern

Beitrag zur Struktur des Business Case und zum International Business Case Report 2016

AmCham Studie : 77 Seiten inkl. 32 Seiten Kurzportraits von 16 Unternehmen