OECD stellt Work–Life–Balance in Deutschland vernichtendes Zeugnis aus

Nordeuropa bleibt die Region, in der es sich am Besten leben und arbeiten lässt – das hat die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD) im Rahmen einer Erhebung zur Work–Life–Balance in 23 Nationen klargestellt. Mit Dänemark, Schweden und Norwegen haben nicht nur drei skandinavische Länder die Spitzenplätze sicher, die Top Ten besteht fast ausschließlich aus nordeuropäischen Staaten.
Während sich Skandinavien somit ein weiteres Zertifikat an die Urkundenwand für vorbildliche Voraussetzungen bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie hängen darf, bekamen andere führende Industrienationen ein vernichtendes Zeugnis ausgestellt – allen voran Deutschland. Die Bundesrepublik fällt, so heißt es in dem Bericht, nicht nur durch eine rekordverdächtige Arbeitslosenrate auf, sondern auch durch eine unterdurchschnittliche Neugeborenenzahl. In nur drei Industrienationen werden nach OECD–Angaben noch weniger Kinder pro Frau geboren als in Deutschland. Auch das Durchschnittsalter der Mütter beim ersten Kind hat in Deutschland mit 30 Jahren einen europaweiten Höchststand erreicht. Die Gründe hierfür hat die OECD schnell ausgemacht: Mütter verdienen in ihrem gesamten Arbeitsleben im Durchschnitt nur halb soviel wie kinderlose Frauen, und verbringen doppelt soviel Zeit für die Kinderbetreuung wie Männer. Und: Deutschland ist das einzige OECD–Land, in dem das Steuer– und Abgabensystem keine Anreize für Zweitverdiener in Familien mit Kindern bietet. Wie es besser geht, zeigen die Nachbarn aus den Niederlanden – hier arbeiten Frauen durchschnittlich zwei Stunden mehr pro Tag als Männer, sieben von zehn Niederländerinnen haben einen festen Job.
Auch die Vereinigten Staaten von Amerika, weltweit bekannt für eine bemerkenswert hohe Zahl an werktätigen Müttern, mussten deutliche Punktabzüge hinnehmen, weil viele Berufstätige hoffnungslos überarbeitet sind und kaum Zeit für Hobbies finden. Die Kritik an der US–Politik fällt verheerend aus: Die USA seien das einzige OECD–Land ohne ein nationales Elternzeit–Modell, heißt es in dem Bericht, der auch eine Schwachstelle im US–Steuersystem ausmacht: Ein Großteil der öffentlichen Unterstützung für Familien wird über Steuern abgewickelt, sodass einkommensstarke Familien überproportional entlastet werden – mit skurrilen Folgen: Je mehr die Eltern arbeiten, desto besser geht es der Familie.
Für die Erhebung hat die OECD drei zentrale Fragen gestellt: Wieviele Arbeitnehmer verbringen mehr als 50 Stunden pro Woche im Job? Wieviel Zeit verwenden sie für Freizeit und persönliche Interessen? Wie hoch ist der Anteil werktätiger Mütter? Die Vorgehensweise der Untersuchung macht deutlich, dass der singuläre Blick, der meist innerhalb eines Landes auf die Work–Life–Balance und Elternschaft gelegt wird, sehr insulär ist. So glaubt Deutschland mit seinem „Elterngeld“ weiterhin, dass Anreize für Eltern, zu Hause zu bleiben, gut für die Geburtenrate und/oder gut für die Volkswirtschaft seien. Die OECD hat diese (traditionelle) Sicht schon vor Jahren und mit der aktuellen Studie erneut widerlegt. Es wäre nun an der Politik, die gewonnenen Erkenntnisse umzusetzen.