Kontext entscheidet über Erfolg – oder Misserfolg

Lokale Gegebenheiten, Branchendynamiken und die kulturelle DNA eines Unternehmens entscheiden darüber, welche Change- oder DE&I-Initiativen funktionieren – und welche nicht. Diese Trilogie zeigt, wie positive Wirkung entsteht.

Auch nach Jahrzehnten der Forschung, des Aktivismus, des Netzwerkens und des Mainstreamings von Vielfalt und Einbeziehung dominieren allerlei Überzeugungen dazu, was Unternehmen weiterbringt. Diese Glaubenssätze unterscheiden sich jedoch, wie so oft,  von belastbaren Erkenntnissen – wie Analysen und die aktuelle Rückwärtsbewegung zeigen. Was in Echokammern lange gefeiert wurde, brachte keine Resilienz.

Vor allem vermeintliche Best Practices zeigen keine nachhaltige Wirkung. Es greift zu kurz, dafür mangelnde Führung, fehlende Ressourcen oder externe Faktoren verantwortlich zu machen. Manches mag eine Rolle spielen – aber es bleiben Symptome. Die Ursachen liegen tiefer: Viele Organisationen unterschätzen die Bedeutung des Kontexts – beginnend mit der Erkenntnis, dass DE&I in Unternehmen grundlegend anders funktioniert als in Gesellschaft, Politik oder Wissenschaft. Dieser Beitrag führt drei kritische Kontextfaktoren – Region, Branche und DNA – zu einem schlüssigen Ansatz zusammen, der Widerstände überwinden und neuen Fortschritt ermöglicht.

Lokale Gegebenheiten: Sprache, Recht und Lebenswelt

Der sichtbarste und anerkannteste Kontext ist das regionale Umfeld, in dem ein Unternehmen agiert. Die gesprochenen Sprachen, geltende Gesetze, soziale Normen und Infrastrukturen prägen, was ‚Vielfalt‘ umfasst, wie Einbeziehung erfolgt und welche Biases herrschen. Ob Recruiting, Training, Kommunikation, Produktion oder Vertrieb: Jede betriebliche Funktion fußt auf lokalen Gegebenheiten: Gesellschaftliche oder rechtliche Normen oder kulturell verwurzelte Sensibilitäten. DE&I ist von Natur aus und per Definition in diesen Aspekten verwurzelt.

Standardisierung? Blaupausen? Natürlich nicht.

In Frankreich ist die Erhebung ethnischer Daten beschränkt. In Deutschland gilt weiterhin das Gender-Dogma. In den Nordics ist die gesellschaftliche Solidarität stark und zeigt sich z. B. für LGBTQI. In Zentraleuropa ist Behinderung ein wesentliches Thema, etc. Solche Eckpunkte werden allgemein als erfolgskritisch anerkannt – und sind dennoch nur die Spitze des Eisbergs. Holzschnitte und Reflexe sind irreführend.

Globale Konsistenz und lokale Relevanz vereinen

Die Überbetonung lokaler Gegebenheiten kann brandgefährlich sein – nicht nur wegen ineffizienter Zersplitterung oder wahrscheinlichen Inkonsistenzen. Globale Organisationen nennen es Überanpassung, denn lokale Initiativen können sich sogar gegenseitig kannibalisieren. Wenn zu viele Mikro-Lösungen entstehen, Botschaften inkonsistent werden oder übergreifende Zusammenhänge aus dem Blick geraten, verliert DE&I Kohärenz, Hebel und Wirkungsgrad – und damit Relevanz.

Ein kluger Ansatz integriert das regionale Umfeld in ein übergeordnetes Framework, das lokale Relevanz mit globaler Konsistenz verbindet. Darin besteht kein Widerspruch, sondern ein Auftrag an strategische Klarheit und kulturelle Intelligenz. DE&I-Verantwortliche müssen verstehen und kommunizieren, wo Anpassung sinnvoll ist – und wo Harmonisierung Mehrwert schafft.

Mehr zum Thema:

https://de.diversitymine.eu/the-diversity-dilemma-global-coherence-versus-local-relevance/ (en)

https://de.diversitymine.eu/different-and-similar-the-implementation-of-di-across-europe/

 

Branchenlogik: Normen, Netzwerke und Narrative

Zusätzlich zum geografischen Rahmen ist DE&I einer weiteren starken kulturellen Dynamik ausgesetzt: die Besonderheiten der Branche, in dem ein Unternehmen tätig ist. Aussagen wie „bei uns ist es besonders…“ zeigen das Bewusstsein für die jeweiligen Einflüsse – sie spiegeln sich jedoch selten in der Umsetzung wider. Dabei bestimmt die Branche weitgehend, was als Talent gilt, welche Karrieren möglich sind und wie Führung funktioniert. Auch inhaltliche Schwerpunkte, Genderverhältnisse, Arbeitsweisen und viele implizite Annahmen sind branchenabhängig.

Branchendynamiken wirken tiefer als gedacht

Ob Industrie, Tech, Finanzwesen, Healthcare oder Konsumgüter – jeder Sektor folgt eigenen Logiken und kulturellen Codes. Ein Tech-Unternehmen mit flachen Hierarchien und agilen Rhythmen braucht andere DE&I-Formate als eine Bank mit etablierten klaren Strukturen. Forschende Pharmaunternehmen benötigen andere Kulturansätze als Logistiker mit Effizienzstreben.

Auch das sektorale Umfeld – mit Verbänden, Peer-Netzwerken, Forschungseinrichtungen und NGOs – prägt die Normen und Narrative. Hier entstehen Benchmarks, werden Agenden gesetzt und letztlich definiert, was als Erfolg gilt. Unternehmen, die sich auf entsprechenden Plattformen positionieren, stärken gegenseitig ihre öffentliche Reputation und gleichzeitig den internen Rückhalt. Der gemeinsame Nenner begrenzt jedoch auch den Fortschritt.

Sektorale Dynamiken als Katalysator nutzen

Viele Unternehmen lassen diese Chancen ungenutzt und verlassen sich stattdessen ganz auf scheinbar universell skalierbare Formate und schillernd präsentierte Best Practices. Diese wirken wunderbar inspirierend, erzielen jedoch selten (weil eher zufällig) die erforderliche Tiefenwirkung.

Normen berücksichtigen ohne Wirkung einzubüßen

Change und DE&I werden glaubwürdig, wenn sie die Sprache der jeweiligen Branche sprechen: Relevante Business Cases, passende KPIs, Diversity-Bezüge zu spezifischen Prioritäten und Bedarfen und Storylines, die die Erwartungen der verschiedenen Stakeholder integrieren. Für Strategie und Roadmap heißt das, auf vorhandene Strukturen und etablierte Mechanismen zurückzugreifen – z. B. bei erlebnisbasiertem Lernen, Kulturentwicklung oder Führungsprinzipien. Verbündete im Branchenumfeld helfen dabei, Fortschritte über das eigene Unternehmen hinaus sichtbar zu machen und geltende Standards nachhaltig anzuheben.

Mehr zum Thema: https://de.diversitymine.eu/warum-der-branchenkontext-erfolgskritisch-ist/

 

Unternehmenskulturelles Erbe: Das implizite, unsichtbare Betriebssystem

Die spezifische Unternehmenskultur ist als Kontextfaktor ebenso bekannt wie unterschätzt. Sie besteht aus Gründungsgeschichte, impliziten Normen, Führungsroutinen und emotionalem Erbe – und bildet den Nährboden für jedwede Entwicklung. Kultur entscheidet, was funktioniert, was bleibt und was sang- und klanglos untergeht. Sie liefert auch Erklärungen, warum gut gemeinte Initiativen krachend scheitern, Absichten missverstanden oder symbolische Aktionen als unauthentisch empfunden werden.

Unsichtbare Regeln von Erbe, Identität und Zugehörigkeit

Anders als regionale oder Branchenkulturen ist Unternehmenskultur nur teilweise verbrieft. Der Großteil wird ‘einfach gelebt’ – und dieser implizite Aspekt wird verdrängt. Führungskräfte glauben, die proklamierten Werte seien real. Das wäre wichtig, denn Kultur bestimmt einen Großteil der Unternehmensperformance. Dennoch findet kulturelle Entwicklung meist oberflächlich statt – Stichwort Kampagnen oder Trainings. Kulturelle Exzellenz erfordert ein tieferes Verständnis und eine echte Verbindung der kulturellen Kernelemente über Bereiche und Ebenen hinweg.

Gerade in dynamischen oder polarisierten Zeiten fungiert Kultur als Schutzschild. Sie erzeugt (trügerische) Sicherheit – und blockiert Veränderung; leider auch die Anpassungen, die für Zukunftsfähigkeit nötig sind. DE&I muss an der erlebten Realität der Menschen ansetzen und sie von dort mit auf die Reise nehmen. Ziele, nicht Quoten, und gerne auch Visionen geben hierfür die nötige Orientierung.

Maßgeschneiderte Kulturarbeit schafft nachhaltige Veränderung

Die kulturelle Reise in die Zukunft beginnt mit einer ehrlichen Standortbestimmung: Wie hoch ist das kulutrelle (Selbst)Bewusstsein? Wie ausgeprägt ist die Dialogfähigkeit der Führung oder in der Organisation? Können Zweifel oder Irritationen konstruktiv besprochen werden? Nur unter solchen Bedingungen kann wertvolle Transformation entstehen – anderenfalls bleibt es bei Symbolik oder Aktionismus.

Unternehmenskulturelle Anpassung bedeutet keine Einschränkung. Es bedeutet vielmehr, das Thema intelligent zu positionieren, Interventionen klug zu timen, Botschaften zu entwickeln, die wirklich ankommen, Stakeholder glaubwürdig einzubinden und auf reale Unternehmenswerte aufzubauen. Diese Arbeit erfordert Sorgfalt – und unterscheidet sich vom gängigen DE&I-Aktionismus –, und sie bewirkt konstruktive, nachhaltige Veränderung: Eine, die die Unternehmensentwicklung aus der Vergangenheit organisch in die Zukunft fortsetzt.

Mehr zum Thema: https://de.michael-stuber.biz/

https://en.diversitymine.eu/when-activism-spurs-positive-impact-and-when-it-doesnt/ (en)

https://de.diversitymine.eu/10-impactful-ways-to-unlearn-di/ (en)

 

Fazit: Erfolg basiert auf der Integration von Kontextfaktoren

Change und DE&I eigenen sich nicht für Standardlösungen oder allgemeingültige Aussagen. Es geht um differenzierte Perspektiven und nuancierte Interpretation. Deshalb ist Kontext nicht Kulisse, sondern Antrieb. Lokale Gegebenheiten, Branchenlogik und Firmen-DNA bilden eine Triade, die Entwicklungsstrategien befördert – oder behindert.

Integration statt Priorisierung

Die Aufgabe besteht nicht darin, einen Kontextfaktor auszuwählen oder sie nacheinander abzuarbeiten – sondern darin, sie intelligent zu integrieren. Das erfordert keine komplexen Analysen oder langwierige Abstimmungen, wohl aber Klarheit, Dialog, Erfahrung – und häufig auch Mut. Integration heißt auch: Das Timing ist entscheidend. Wir können nicht alles gleichzeitig tun – und schon gar nicht in allen Bereichen oder Ländern auf dieselbe Weise. Smarte Integration staffelt Maßnahmen, lernt mit jedem Schritt und passt sich an – und bleibt dabei der strategischen Ausrichtung treu. So entwickelt sich DE&I über einen Compliance-Faktor oder polarisierenden Aktivismus hinaus und wird zu einem Hebel für Performance, Zugehörigkeit und langfristiger Zukunftsfähigkeit.

Kontext verstehen ist nur der Anfang – entscheidend ist das Handeln

Diese Trilogie hat gezeigt, wie regionale Gegebenheiten, branchenspezifische Normen und das tief verankerte unternehmenskulturelle Erbe gemeinsam den Rahmen für Erfolg abstecken – oder für Scheitern. Doch das Verständnis für diese Kontextfaktoren ist nur der erste Schritt. Entscheidend ist, welche konkreten, sinnhaften Maßnahmen daraus entstehen. Ein nachliegender Startpunkt besteht in der Überprüfung, an welchen Stellen Kultur-, DE&I- oder Führungsentwicklung den jeweiligen Kontext nicht wirksam berücksichtigen.

Dafür bieten wir ein einfaches und wirkungsstarkes Modell, das fehlende Verbindungen aufzeigt und Hinweise auf die deutlichsten Verbesserungshebel gibt.

  • Engagement-Gap: Erreichen die Initiativen wirklich jene, die Teil des Wandels sein müssen – oder nur die üblichen Verdächtigen? Findet eine breite Beteiligung statt oder eher symbolisches Mitmachen?
  • Wirkungs-Gap: Führen die Aktivitäten zu messbarer Veränderung – im Verhalten, System und der Kultur? Oder bleibt es bei höherem Bewusstsein, Einzelaktionen – und generischem Vielfaltsanstieg?
  • Führungs-Gap: Gestalten Führungskräfte die Kultur- und DE&I-Entwicklung aktiv – oder delegieren sie sie? Sind sie persönlich und emotional betroffen, oder auch geschäftlich-strategisch überzeugt?

Die Analyse dieser drei Gaps weist Organisationen den Weg zu einer gezielten und effektiven Kalibrierung von Kultur-, DE&I- und Führungsentwicklung – und der Beachtung der drei Erfolgsfaktoren Kontext, Kontext und nochmals Kontext! Spätestens hier wird deutlich: Kontext ist keine Beschränkung – er ist die Befähigung.

Nur wenn DE&I-, Führungs- und Kulturstrategien kontextuell integriert angelegt werden, erzielen sie Wirkung – wirtschaftlich, zwischenmenschlich und organisational. Alles andere mag für einige oder für eine gewisse Zeit funktionieren – nicht aber für alle und nicht nachhaltig. Das zeigen die vergangenen zehn Jahre allzu deutlich.

https://www.ungleich-besser.de/willkommen/