Dicke Luft in deutschen Büros – Warum auch Raucher schützenswert sind

Zwischen Aktenschrank, Computer und Drucker stehen sich zwei Gruppen erbittert gegenüber: Die Galionsfigur der
einen ist der Marlboro-Mann, der coole Cowboy, der durch die texanische Wüste trampelt und mit der Zigarette im
Mund einen Hauch von Freiheit auf die Kinoleinwand bringen will. Die anderen leisten verbalen Widerstand, in dem
sie immer wieder erzählen, dass der Marlboro-Mann Wayne McLaren 1992 an Lungenkrebs starb. Für rauchende Arbeitnehmer wird die Luft derzeit immer dünner. In einer Stellenanzeige des irischen Callcenter- Betreibers Dotcom Directories heißt es: „Raucher brauchen sich nicht zu bewerben.“ Diskriminierung, Demütigung, Diffamierung? „Nein“, lautet die Antwort von höchster Stelle. Vladimir Spidla, in der Europäischen Kommission zuständig für Arbeit, Soziales und Chancengleichheit, schreibt in einer Stellungnahme: „Die EU-Antidiskriminierungsgesetzgebung
verbietet die Diskriminierung auf Grund von Rasse oder Herkunft, Behinderung, Alter, sexueller Orientierung, Religion oder Glauben im Beruf und anderen Bereichen.“ Der ausdrückliche Hinweis eines Arbeitgebers, Raucher bräuchten sich nicht zu bewerben, falle aber unter keinen der im Gesetz genannten Gründe. In zahlreichen deutschen Städten denken Gastronomen inzwischen über die Einrichtung von „Raucherkneipen“ und „Nichtraucherkneipen“ nach. Die Schwarz-Weiß-Malerei der Apartheid schien überwunden, da entsteht in Deutschland eine latente Separation. Einst war die Zigarette exklusiv, galant, ja sogar ein wenig Bohème – inzwischen bleibt so manchem Raucher in Deutschland die Luft weg, fürchtet er um seinen Platz in der Mitte der Gesellschaft. Rückenwind spüren dagegen die Nichtraucher, fühlen sie sich doch vom „blauen Dunst“ der teuren Glimmstängel belästigt. Welcher notorische Nichtraucher hat sich noch nicht über den fahlen Geruch geärgert, der nach einem netten Abend mit befreundeten Rauchern hartnäckig in der eigenen Kleidung hängen blieb? In einer Druckerei in Berlin hat
der Geschäftsführer schon vor vier Jahren den Marlboro-Mann in die Flucht geschlagen: wer sich offiziell zum Nichtraucher erklärt, erhält 100 Euro mehr Gehalt als die rauchenden Kollegen. Begründung der Geschäftsführung: Raucher sind öfter krank, machen Raucherpausen, werden unproduktiv. Ein laues Lüftchen bläst in die Fahnen derer,
die sich für einen respektvollen Umgang mit ihren Mitarbeitern einsetzen. Wer im Job mit Freiheiten ausgestattet ist, der ist kreativer und produktiver. Weitreichende Vorschriften und Verhaltensregeln trüben die Lust an der Arbeit. So auch eine Ungleichbehandlung von Rauchern und Nichtrauchern. Wem das Rauchen am Arbeitsplatz verboten wird, der fühlt sich unterdrückt und wird unproduktiver. Diskriminierung ist Gift für Kreativität und Produktivität – auch, wenn sie sich nicht auf eine der sechs Kerndimensionen der EU-Antidiskriminierungsgesetzgebung
bezieht. Wie wäre es also, wenn Raucher und Nichtraucher einfach den Marlboro-Mann vergessen und aufeinander zugehen – mit Raucherecken in direkter Nähe des Großraumbüros, unverbindlichen Beratungsangeboten
und Gesprächen. Dann erfahren die einen, warum die anderen rauchen. Und die anderen erfahren, warum sie vielleicht doch besser mit dem Rauchen aufhören oder ihren Konsum einschränken sollten. Sowohl Raucher als auch Nichtrauchersollten im Unternehmen an dem einen Ziel arbeiten: dass beide gern zur Arbeit gehen – und sich, in Vielfalt geeint, die Unterscheidung zwischen „den einen“ und „den anderen“ eines Tages sparen können.
Sebastian Wieschowski (21) ist Nichtraucher und unterstützt das Team von „Ungleich Besser Diversity Consulting“
ab dieser Ausgabe beim Diversity-Newsletter. Seine erste Nachricht schrieb er im zarten Alter von acht Jahren. „Barbie überfährt Ente – Fahrerflucht“ lautete damals die Überschrift. Heute befindet er sich an der Kölner Journalistenschule in einer Ausbildung zum Fachjournalisten für Politik und Wirtschaft.