Von wegen „post-gender“ – ignorante Haltungen wecken Erinnerungen an Diversity–Steinzeit

Der Pirat an sich ist – und so gefällt er sich besonders – ein von Grund auf männliches Geschöpf: Kräftig gebaut, ein rauher Bart, angriffslustig und jenseits der Gesetze. Eine Gesichtskontrolle bei der Piratenpartei, die aktuell die deutsche Politiklandschaft ins Schwanken bringt, führt zu einer Teilbestätigung: ganz überwiegend Männer in einer zeitgenössischen Mischung von „Cool“ und „Nerd“. Die unkonventionellen Politiker äußern sich zum aktuellen Thema Gender–Diversity überraschend lapidar: Das Geschlecht, so stellt die Partei klar, spielt im Netz keine Rolle mehr. Und mit dem Geschlecht wurde gleichzeitig die Benachteiligung der Frau abgeschafft. Das Ganze verkaufen die Rebellen als post–gender.
Dem geneigten Diversity–Experten kommt das Argument, etwas sei doch „kein Thema“ in gespenstischer Weise bekannt vor. Wie ein Fliegender Holländer begegnen uns hier die tot–geglaubten Vorstellungen eines Weckguck–Ansatzes, der Schieflagen durch Unsichtbarmachen beseitigt. Immerhin gelingt es der Piraten–Partei mit den gar nicht provokant gemeinten Thesen, die Aufmerksamkeit der Meiden auf sich zu ziehen: Die Piraten gehen, wie ein Artikel der Süddeutschen Zeitung behauptet, bei der praktischen Gleichberechtigung voran: Männer– und Frauentoiletten seien ein Zeichen der Geschlechterseparation und damit von vorgestern; in der Parteizentrale der Piraten gibt es daher Klohäuschen „mit und ohne Urinal“. Und im Parteiprogramm heißt es: „Die Piratenpartei steht für eine Politik, die die freie Selbstbestimmung von geschlechtlicher und sexueller Identität bzw. Orientierung respektiert und fördert.“ Ob hier nicht Konzepte durcheinander geraten?
Bei ihrer Entdeckungsreise zum Status des Geschlechts im Internet betrat die SZ–Redakteurin allerdings gender–technisch kein Neuland – die Wissenschaft bietet kaum Erkenntnisse zum Geschlechter–Alltag in der virtuellen Parallelwelt. Andere Medien streiten um die Deutungshoheit der Gender–Gerechtigkeit in der Piratenpartei. Die TAZ glaubt, dass mit der Selbstbeschreibung als „post-gender“ ein zentrales feministisches Ziel „mal eben zum Status quo“ erklärt werde, was sehr schön, aber leider „blanker Unfug“ sei. TAZ–Autorin Ines Kappert wehrt sich gegen die Behauptung, dass Geschlecht als Ordnungskategorie längst überwunden sei. Dass die Piratenpartei sicher noch einen langen Weg zu beschreiten hat, bis es neben den geschlechterneutralen Toiletten in der Parteizentrale auch eine echte Gleichberechtigung in der Partei gibt, zeigen sie nüchternen Zahlen. Christopher Lauer, designierter Piraten–Abgeordneter im Berliner Abgeordnetenhaus, legt offen, dass die Fraktion zu 93 Prozent aus Männern besteht. Die CDU liegt mit 87 Prozent knapp darunter, die geringste Männerquote haben die Grünen mit 47 Prozent.