Warum der Branchenkontext erfolgskritisch ist
Es gibt gute Gründe, Kultur-, DE&I- und Führungsarbeit auf ein Land, eine Region oder die unternehmenseigene Kultur abzustimmen. Doch letztlich prägt die Branche, was funktioniert – und wie.
Über die letzten 25 Jahre hat sich DE&I stark ausgeweitet – u.a. mit einer Vielzahl an Netzwerken: Runde Tische, internationale Initiativen, Benchmarking-Angebote oder sog. Qualitätsinitiativen (Zertifizierung, Ranglisten, Preise). Die großen Netzwerke in Europa sind national organisiert – was nahe liegt, da sie regulatorische Aspekte aufgreifen, Agenda-Setting ermöglichen und zugleich Publicity bieten.
Diskret, vertraulich, wirksam – branchenspezifischer DE&I-Austausch
Im Unterschied zu öffentlichkeitswirksamen Netzwerken agieren branchenspezifische Initiativen meist diskret – oft sogar hinter verschlossenen Türen. Zusätzlich greifen Branchenverbände oder Gewerkschaften das Thema Diversity & Inclusion auf und beauftragen Studien, die eine Bestandsaufnahmen vornehmen und Entwicklungsperspektiven aufzeigen.
Jahrzehnte branchenspezifischer DE&I-Erfahrung
Bereits in den frühen 2000ern tauschten sich führende Unternehmen der europäischen Finanzbranche in London und Frankfurt über DE&I aus – getrennt nach Investment- und Geschäftsbanking. Im Rahmen des Europäischen Jahres der Chancengleichheit für alle entstanden 2007 etliche Branchenstudien zur Lage von DE&I, z. B. im Postsektor oder in der Telekommunikationsbranche.
2011 gründeten 13 Top-Managerinnen aus Handel und Konsumgüterbranche die Lead-Initiative, mit dem Ziel, „geschlechterausgewogene Führung zu fördern“. Die Öl- und Gasbranche erstellte 2017 eine erste Studie zu „Einstellungen zu Gender Balance“. 2016 beklagten führende Vermögensverwaltungsfirmen den schleppenden Fortschritt und gründeten das DiversityProject, das den Austausch in der Branche fördert – auch auf europäischer Ebene.
Die Besonderheiten einer Branche verstehen – und nutzen
Heute existieren in vielen Branchen ‚interne‘ Netzwerke, die – anders als gemischte Plattformen – spezifische Rahmenbedingungen, Annahmen und Grenzen für DE&I thematisieren. So führt z. B. der hohe Regulierungsgrad im Versicherungswesen zu einem anderen Umgang mit Diversität als in den forschungs- und innovationsbasierten Chemie oder Pharmabranchen.
Neuere Branchen wie Web-Firmen oder erneuerbare Energien glaubten zunächst, u.a. aufgrund ihrer jüngeren Belegschaft automatisch offen und divers zu sein – eine trügerische Annahme, wie sich bald zeigte. Heute kämpfen sie mit ähnlichen Herausforderungen wie andere Branchen: fehlende Vielfalt in der Führung, Akzeptanz flexibler Arbeitsmodelle oder produktive interkulturelle Zusammenarbeit.
Entsprechend des Reifegrades wurden manchen Branchen später aktiv: Die europäische Initiative der Energieunternehmen startete 2021, für Bauunternehmen 2023. Im Maschinen- und Anlagenbau denkt man aktuell darüber nach, DE&I jenseits der ESG/CSR-Nische zu gestalten.
Der Branchenkontext als einer von mehreren
Die Branchenzugehörigkeit prägt die Geschäftsrealtiät – von der Ausbildung bis zu Kundenbeziehungen. Dennoch ist sie nur eine von mehreren erfolgskritschen Kontextfaktoren: Der geographische Standort bestimmt rechtliche und kulturelle Rahmenbedingungen. Und die gewachsene Unternehmenskultur – mit ihren impliziten Normen und Annahmen sowie ungeschriebenen Gesetzen – beeinflusst die Umsetzung von Leadership- oder Change-Programmen letztinstanzlich.
Unternehmen müssen daher nicht nur jeden dieser Kontexte kennen, sondern deren Verknüpfungen und Wechselwirkungen analysieren – um daraus die richtigen Impulse und Schritte für DE&I und kulturelle Entwicklung abzuleiten.