Vielfalt der Parteien, Vielfalt der Meinungen, Vielfalt der Sprachen

– Impressionen eines Wahlkampes – Diversity ist kein politisches Konzept. Oder doch? Tatsächlich thematisieren alle Parteien, die gute Chancen auf Sitze im Deutschen Bundestag haben, einige Facetten von Vielfalt, die Themen Respekt, Wertschätzung und Menschenwürde, die Konzepte Integration oder Einbeziehung sowie Fragen der Erfolgs-, Potenzial- und Leistungsorientierung. Damit sind die vier wichtigen Verständnisebenen von Diversity zumindest im Wahlkampf
vertreten. Das Konzept selbst taucht im Sinne von Vielfalt – also mit kleinem „d“ – genau einmal auf: im grünen Wahl-Programm. Warum könnte es wichtig für die BürgerInnen, für die Wirtschaft oder für den Standort Deutschland sein, ob und wie Diversity im Kampf um die Wahl berücksichtigt wird? Weil mit Diversity die Gesellschaft eines Landes vollständiger und mit weniger Gruppendenken erfasst werden kann. Weil mit Diversity die Unternehmen besser wirtschaften
können. Und weil Germany mit Diversity als Teil Europas und im globalen Wettbewerb erfolgsversprechend positioniert ist; oder sollte ich sagen „wäre“? Als Standort-Faktor wird Diversity von keiner Partei erkennbar thematisiert. Immerhin sprechen SPD und FDP deutlich von Deutschland als Einwanderungsland – was es
spätestens seit der Industrialisierung, mit Unterbrechungen, stets gewesen ist. In vielen anderen Bereichen sind die Wahlprogramme das, was sie glauben, sein zu müssen: Vorsichtig darauf bedacht, keine größeren Wählergruppen zu verprellen. Nur fragt sich, wie gut die Parteien ihre potenziellen WählerInnen kennen. So wird beispielsweise das Thema „Behinderung“ das direkt je nach Betrachtungsweise acht bzw. zwölf Prozent der Bevölkerung direkt betrifft,
von zwei Parteien nur allgemein benannt (SPD, FPD) und von CDU/CSU praktisch nicht aufgegriffen. Lediglich die Linkspartei und die Grünen beziehen zur Selbstbestimmung von Menschen mit einer Behinderung klar Stellung. Ein ähnliches Bild zeigt sich beim Thema ‚sexuelle Orientierung’: FDP, Grüne und Linkspartei treten für eine umfassende Gleichstellung von Schwulen und Lesben mit Heterosexuellen ein, die SPD möchte dies lieber Schritt für
Schritt erreichen. CDU/CSU nehmen mittelbar zu diesem Thema Stellung, indem sie traditionellen Familien – in vielen Bereichen – Vorrang einräumen möchte, und ein mögliches Adoptionsrecht für homosexuelle Paare ablehnen. Alle anderen Parteien schätzen alle Formen des Zusammenlebens und möchten Kinder, gegenseitige Hilfe und Verantwortung vorbehaltlos unterstützen. Ähnlich fällt die politische Färbung bei Fragen der Chancengleichheit für Frauen und Männer aus: SPD und Linkspartei fordern – in sozialistischer Manier – die (klassische) Gleichstellung, während die FPD auf Qualifikation, Stärken und Leistungsbereitschaft von Frauen setzt. Die Grünen fordern Lohngerechtigkeit und eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Letztere ist im Wahlprogramm von CDU/CSU der Kernbaustein zur Gleichstellung von Frauen und Männern im Beruf. Diese Annahme erscheint aus Sicht von Diversity genau so zweifelhaft wie die Behauptung, ein ADG, das über die EU Richtlinien hinausginge, würde der Wirtschaft schaden. Diese Behauptungen lassen sich ebenso widerlegen, wie die Vorstellung, ältere Beschäftigte nähmen jüngeren den Arbeitsplatz weg. Zumindest dieses Schreckgespenst ist aus den Wahlprogrammen verschwunden: Die Beschäftigung oder Beteiligung Älterer ist bei allen Parteien Thema. Für das Thema Religion ist das erstaunlicher Weise nicht der Fall. Im Wahlprogramm der Linkspartei sucht man vergeblich nach diesem Stichwort oder nach Aussagen zum Islam. CDU/CSU wollen in der Schule die Frage nach Gott beantworten, während SPD, Grüne und FDP unterschiedliche Religionen im Blick und auf ihrem Wahlzettel haben. Apropos auf dem Zettel: Welche Partei hat wohl Fremdsprachler auf ihrem Wählenwunschzettel? In dieser Diversity-Kategorie gibt es nur Überraschungen: CDU/CSU bieten ihr komplettes Programm auf Deutsch und Englisch an. Die FDP offeriert Kurzversionen ihres Programms auf deutsch, portugiesisch, und französisch, während die Linkspartei deutsch, russisch und türkisch als bevorzugte Fremdsprachen, pardon: Muttersprachen, auserkoren hat. Die SPD konnte sich
gerade mal zu einer englischen Kurzversion ihres Manifests aufschwingen. Die Multi-Kulti-Grünen bieten in der entsprechenden Sektion ihres Portals keine Sprachalternativen des Wahlprogramms an (mein Vorschlag: yesiller.de) – oder wir haben sie nicht gefunden. Aber surfen Sie doch selbst:

http://www.gruene-portal.de
http://www.gruene-portal.de/userspace/gruene.de/PDFs/Wahlprogramm_2005.pdf
http://kampagne.spd.de
http://kampagne.spd.de/040705_Wahlmanifest.pdf
http://www.regierungsprogramm.cdu.de
http://www.regierungsprogramm.cdu.de/download/regierungsprogramm-05-09-cducsu.pdf
http://www3.fdp-bundesverband.de/webcom/show_article.php/_c-584/i.html
http://files.liberale.de/fdp-wahlprogramm.pdf
http://sozialisten.de/service/download/dokumente/wahlprogramme/index.htm