Persönlicher Rückblick auf die Zukunft Europas #EFA24
Trotz unzähliger Erfolgsgeschichten hat das Projekt Europa ein notorisch schlechtes Image. EU-Bashing ist ebenso üblich wie die Vereinnahmung von Errungenschaften durch Mitgliedsstaaten. Wie kommen wir in diesem heiklen Umfeld voran?
Rettet DEI Trilogie Teil 2 (Sommer 2024) Die richtigen Fragen stellen, die Momente der Wahrheit schaffen
Das Europäische Forum Alpbach (EFA) bringt seit 1945 eine faszinierende Vielfalt an visionären Persönlichkeiten zusammen. Was als Treffen von Widerstandskämpfern und Zukunftsdenkern begann, wurde zu einer einzigartigen Zusammenkunft von Politikern, Geschäftsleuten, gesellschaftlichen Akteuren und einer Reihe ausgewählter Stipendiaten. Nach der jüngsten Umgestaltung ist das EFA zu einer unkonventionellen Veranstaltung mit minimaler Struktur und maximalen Möglichkeiten geworden.
Das EFA24 konzentrierte sich auf vier Themen: Klima, Demokratie/Rechtsstaatlichkeit, Finanzen/Wirtschaft und Sicherheit. Zu den Formaten gehörten Labs, Chats/Podien, Wanderungen, Seminare, Briefings, Rituale, Arbeitstreffen und mehr. Entsprechend der Slogan: Die Veranstaltung ist das, was Du daraus machst. Als kritischer Diversity-Forscher, -Autor und -Praktiker sowie als Europaaktivist und Responsible Leader der BMW Stiftung hatte ich viele Berührungspunkte und meine Agenda verfolgte zwei Schlüsselfragen:
- Wie können wir breiten Einsatz für eine vielfältige und integrative Welt (die sich seit 1945 entwickelt hat) erreichen?
- Wie können wir bisherige EU Erfolge und Erfahrungen nutzen, um eine friedliche, demokratische und menschliche Zukunft weltweit (mit)zu gestalten?
Was ist Europa und wie können wir es weiterentwickeln?
In den letzten Jahren ist es zu einer meiner Lieblingsbeschäftigungen geworden, über die Frage „Was ist Europa?“ zu diskutieren und politische, geografische, sicherheitspolitische, wirtschaftliche und werteorientierte Dimensionen zu beleuchten. Letzteres löst häufig Fragen aus, während es für mich die Quintessenz Europas ist. Genauso wie die Kultur eines vielfältigen Systems über die Einbeziehung und Zugehörigkeit von Vielfalt entscheidet. Ohne die Entstehung und die Weiterentwicklung gemeinsamer europäischer Werte zu verstehen, können wir kaum über Erweiterung oder Sicherheit sprechen. Daher war ich überrascht, als gesagt wurde, die Zukunft Europas basierte vor allem auf Sicherheitsüberlegungen. Im aktuellen Kontext erscheint es verständlich, aber genauso kurzsichtig, wie die rasche Erweiterung 2004. Die Fragen zu den gemeinsamen Werten, die Europa in Zukunft zusammenhalten können, fehlten deutlich. Sie wären ein weiterer Moment der Wahrheit gewesen (was auch das Motto der Veranstaltung war).
Was bedeutet Erweiterung für uns?
Die Vergrößerung der europäischen Familie war nie umstritten, wohl aber die Art und Weise. Modelle wie ein Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten oder getrennte Erweiterungen der Schengen- oder Euro-Zone sind bereits verfügbar. Auf dem #EFA24 wurden vor allem technische Details, Prozessfragen und Interdependenzen mit Blick auf die mögliche Aufnahmekohorte diskutiert. Was ich vermisste, waren längerfristige Überlegungen, einschließlich der Lehren aus der vergangenen Erweiterung – als die Visegrád-Gruppe „integriert“ wurde –, die bereits erwähnten Wertefragen oder die Notwendigkeit interner Reformen in der Verwaltung der Union. Letztere waren zugunsten einer raschen Erweiterung im Jahr 2004 aufgeschoben worden – und bis heute sind wir in kritischen Fragen stecken geblieben. Die Fragen nach Reformen und gleichzeitiger Erweiterung hätten einen weiteren Moment der Wahrheit herbeigeführt.
Wie sehen wir die Rolle Europas in der Welt?
Mit einem verständlichen Fokus auf den aktuellen Krisen wurde in einigen #EFA24-Diskussionen die Freundschaft mit den USA und die Kritik an Russlands Aggression wiederholt. Trotz der globalen Dynamik der letzten Jahre wurde die Rolle und Verantwortung (!) Europas in der Welt wenig diskutiert. Der Präsident der EFA, Andreas Treichl, hatte dazu starke Botschaften und Visionen, auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Dieser Aspekt war im Programm selbst wenig ausgeprägt, auch nicht Europas Vorbildpotenzial für Diversity. Postkoloniales Verständnis wurde im Klimakontext besprochen, weniger politisch (Naher Osten, Afrika?) oder in anderer Hinsicht. Diese Fragen hätten zusätzliche Momente der Wahrheit schaffen können.
Wie kann DE&I die Zukunft Europas erleichtern?
Ob wir nun unsere heutigen Beziehungen zu Lateinamerika, unsere Rolle im Nahen Osten oder unsere Partnerschaft mit Bosnien-Herzegowina betrachten, das Verständnis für die Dynamik von Unterschieden – seien sie kulturell, politisch, historisch – eröffnet neue Perspektiven. Wenn wir erkennen, was Al-Andalus oder Nelson Mandela uns über die Notwendigkeit eines offenen Dialogs, die Entwicklung von Respekt und die Schaffung eines positiven Zusammenlebens gelehrt haben, wird uns das inspirieren.
Dies ist umso wichtiger in einer Zeit in der einzelne Gesellschafts- (oder Politik-)gruppen eine bestimmte Wahrheit für ihre Zwecke beanspruchen, die die Realitäten oder sogar Identitäten anderer Menschen ausblendet. Geschichte als Grundlage für die Zukunft zu verstehen, anstatt sie umzuschreiben, um die eigene Gegenwart zu rechtfertigen, ist ein wichtiger Beitrag, den DE&I leisten kann. Die Berücksichtigung unterschiedlicher Narrative und Perspektiven erleichtert uns den Umgang mit der Komplexität der Welt, wie wir sie heute kennen.
Andererseits bietet DE&I einen Rahmen, um die internen Beziehungen Europas zu überdenken und unsere Grundwerte für eine prosperierende Gemeinschaft zu verinnerlichen.
Das ungenutzte Potenzial der Unternehmen
Die Nutzung der Macht, des Einflusses und der Interessen von Unternehmen ist ein weiteres Element, das Europa in Zukunft berücksichtigen sollte. Wir erleben eine zunehmende Positionierung europäischer Führungskräfte und Marken gegen Nationalismus. Auch wenn dahinter Geschäftsinteressen stehen mögen, ist dies ein klares Bekenntnis zu Demokratie und Freiheit, das anerkannt werden sollte. Umso mehr als lange das Dogma „halte dich aus der Politik heraus“ galt. Heute sind Grundpfeiler des wirtschaftlichen Erfolgs bedroht, so dass Unternehmen verstehen, dass auch sie die richtigen Fragen stellen und Momente der Wahrheit schaffen müssen.
Die Tatsache, dass #EFA24 einmal mehr von Dutzenden von Unternehmen finanziert wurde, sollte als Grundlage für weitergehende Partnerschaften verstanden werden.
