Mehrheit urteilt mit Vorurteilen
Die Intoleranz gegenüber Minderheiten steigt europaweit in einem „alarmierenden Ausmaß“ an. Diesen erschreckenden Trend belegt das Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) der Universität Bielefeld in einer im November vorgestellten Studie. Die Forscher befragten 1.000 Bürger der EU-Mitglieder Großbritannien, Frankreich, Deutschland, den Niederlanden, Italien, Portugal, Polen und Ungarn. Der Studie nach ist die Hälfte der EuropäerInnen der Ansicht, dass die Zahl der Einwanderer zu hoch ist und der „Islam […] eine Religion der Intoleranz“ sei.
Die Vorurteile reduzieren sich nicht nur auf ethnische oder religiöse Minderheiten, sondern stellen nach Auswertung der Studie ein „Syndrom der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ dar. So empfindet mit 43 Prozent knapp jeder zweite Befragte Homosexualität als unmoralisch, mehr als 30 Prozent sehen immer noch eine natürliche „Hierarchie zwischen schwarzen und weißen Menschen“. Besonders deutlich zeigt sich die Präsenz kategorisierender Denkstrukturen im Bezug auf die Gleichstellung der Frau: Mit einem Anteil von mehr als 60 Prozent bevorzugt eine große Mehrheit aller Befragten die traditionelle Rollenverteilung beider Geschlechter.
Trotz unterschiedlich starker Ausprägung der Ablehnung innerhalb der untersuchten Staaten werden die Vorurteile laut Psychologie-Professor Andreas Zick, Leiter der Studie, länderübergreifend „weitgehend geteilt“. Am stärksten voreingenommen zeigten sich die Bürger Polens und Ungarns, während die Werte von Großbritannien und den Niederlanden deutlich unter dem Durchschnitt lagen. Deutschland kam in der Studie in keiner Kategorie über einen Mittelwert hinaus.
Die Gründe für die „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ sind nach Meinung der Forscher vielseitig. Hauptursache für die vorherrschende Ablehnung seien autoritäre Einstellungen sowie das subjektive Gefühl der Bedrohung durch Fremde. Nach Erkenntnissen des Diversity-Experten Michael Stuber sind auch die aktuelle Wirtschaftskrise sowie ein Identitätsverlust durch Globalisierung und Virtualisierung mitverantwortlich für das wieder erstarkte Fremdeln. Ähnlich wie frühere Studie zu Xenophobie und Rassismus zeigt die aktuelle IKG-Studie, dass die Toleranz mit wachsendem Bildungsgrad steigt und mit dem Alter sinkt. Insofern mag es noch einige Zeit dauern, bis die Früher-war-alles-besser-Mentalität aus den Köpfen verschwunden sein wird.
Empirie / Forschung Ethnie; Herkunft; Migration; Kultur LGBTQI* Religion Sprache Deutsch