Mehr Story als Strategie: Diversity in den Medien
Medien wollen einfache Botschaften. Kein Wunder, dass Quoten und krasse Aussagen oder Inszenierungen propagiert werden. Smartes, wirkungsvolles DE&I bleibt unterbelichtet.
Wenn große Namen wie Telekom oder SAP etwas zu Diversity vermelden, werden Medien ganz Ohr – und Sprachrohr. Große Tagesszeitungen und Wirtschaftsmedien schreiben mit dem ihnen eigenen Verständnisduktus über ein Thema, das sie jenseits allzu populärer Events wortwörtlich links liegen lassen.
Diversity zielt auf positive Wirkung für alle ab. Wird sie symbolisch oder polemisch ist die Gegenreaktion absehbar.
Ausgerechnet die Ikone des differenzierten Journalismus stach mit einem auffallend wahllos zusammengestellten Artikel negativ hervor. Die Süddeutsche Zeitung befasste sich mehr mit TikTok Videos als mit einer Ursachen- und Machtfeldanalyse der wirklich komplexen Situation. In dem Fall konnte ich mir einen Leserbrief nicht verkneifen und die weiteren Zuschriften bestätigen insgesamt, dass es ganz offensichtlich nicht nur um die Frauenquote geht.
Der oberflächliche [anti] Woke-Kultur-Kampf
Scheinbar geht es um vermeintliche Errungenschaften der letzten zehn Jahre, wie Frauenquoten und eine bunte Landschaft von Diversity-Initiativen, die ‚uns‘ nun von Trump und Konsorten weggenommen werden sollen. Darauf mit einem Die-sind-die-bösen-und-wir-sind-die-guten zu reagieren – was das Diversity-Lehrbuch übrigens nicht vorsieht – ist machtpolitisch gesehen nicht nur ineffektiv, es verschenkt wertvolle Chancen. Wie zum Beispiel zu reflektieren.
Die Falle der Kennzahlen
Zahlen üben eine gewisse Faszination aus. Sie sind leicht zu erfassen, zu vergleichen und zu titeln: Wie viele Frauen sitzen in Aufsichtsräten? Wie hoch ist der Anteil von Menschen mit ‘anderem’ Paß im Management? Doch solche Kennzahlen geben nicht einmal Momentaufnahme wieder – denn sie sind nicht kontextualisiert. Vor allem aber beantworten sie nicht die zentrale Frage: Haben wir die Vielfalt, die wir als Unternehmen haben sollten, aufgrund unserer Märkte und unserer strategischen Prioritäten (z. B. Innovation, Anpassungsfähigkeit oder Performance)?
Die Fixierung auf Repräsentation birgt zwei Risiken. Erstens entsteht ein falsches Gefühl von Fortschritt. Steigt der Anteil von Frauen in Führungspositionen, mag dies als Erfolg gelten – selbst wenn sich Unternehmenskultur und Entscheidungsprozesse kaum verändern. Zweitens schürt es Polarisierung. Denn als einzige ist die Frauenquote nicht nur kein valider Indikator für Vielfalt als Ganzes, sie impliziert Männer als die andere Seite. Beides ist für Unternehmen kontraproduktiv.
Köpfe zählen oder Köpfe nutzen?
Meine Erfahrung aus über 400 Projekten in mehr als 30 Ländern zeigt: Vielfalt wirkt nicht automatisch. Unterschiede entfalten erst dann ihr Potenzial, wenn sie in einer offenen Kultur gezielt einbezogen und produktiv nutzbar gemacht werden. Wenn Führungskräfte verschiedene Perspektiven nicht nur tolerieren, sondern systematisch in Entscheidungsprozesse einbinden, entstehen Kreativität, Innovationskraft, Kundennähe – und Zufriedenheit.
Verantwortung der Medien
Medien haben eine besondere Verantwortung. Sie prägen nicht nur den öffentlichen Diskurs, sondern auch die Wahrnehmung von Führungskräften und Politik. Wenn Berichterstattung Vielfalt auf Quoten verengt oder skurile Einzelaktionen lobt, verfestigt sie das Bild von Diversity als Effekthascherei.
Dabei könnten dieselben Medien mit ihrer Reichweite positive Wirkung entfalten: Erfolgsbeispiele sichtbar machen, in denen Diversity ein Treiber für Innovation wurde. Analysieren, wie inklusive Führung die Wettbewerbsfähigkeit stärkt. Und auch aufzeigen, wo Diversity in den letzten zehn Jahren falsch abgebogen ist – und was jetzt zu tun ist.
Von Symbolik zu Strategie
Für Unternehmen zeigt das erste Halbjahr 2025: Diversity darf keine symbolische Pflichtübung sein. KPIs sind wichtige Instrumente, um Verantwortung einzufordern. Doch sie sind nur der Anfang. Entscheidend ist, dass Führungskräfte Vielfalt als Ressource begreifen – und zwar in Strategien, Prozessen und Kulturen.
Das erfordert Mut. Denn es bedeutet, sich mit Themen wie Macht, Wertesystemen und Widerständen auseinanderzusetzen. Und genau hier liegt das Potenzial, das in den Medienberichten der letzten Monate übersehen wurde. Konstruktiver, differenzierter Diskurs.
Diversity als Zukunftsaufgabe
Wie Europa steht auch Deutschland vor krassen Herausforderungen: Geopolitische Umwälzung, wachsende Polarisierung, Fachkräftemangel. In diesem Kontext ist es genauso gefährlich, Vielfalt auf Quoten zu reduzieren wie auch Diversity auf Stand-By zu schalten. Kein Unternehmen kann es sich leisten, Produktivität oder Anpassungsfähigkeit zu bremsen, oder Innovation und Marktzugang zu limitieren.
Wenn Unternehmen (oder Medien) jedoch Vielfalt als ideologisches Publicity-Thema bearbeiten, können diese Mehrwerte nicht gehoben werden. Es bleibt bei der aktuellen Polarisierung mit verhärteten Fronten.
Das Narrativ neu gestalten
Das Beispiel Süddeutsche Zeitung und die Leserbriefreaktionen haben gezeigt: Diversity wird in der Öffentlichkeit sehr spitz behandelt. Zahlen dominieren, Wirkung bleibt unterbelichtet. Aufgabe von Führung, Politik und Medien ist es, dieses Narrativ zu verbreitern. Diversity darf kein Selbstzweck sein. Es ist ein Hebel für Wertschöpfung durch Engagement und Zukunftsfähigkeit durch Teilhabe. Wer dies sichtbar macht, zeigt: „Vielfalt eint Wirtschaft und Wohlstand“*.
* Das ist der Titel einer aktuellen Serie von Analysen, die Ungleich Besser seit Juni publiziert
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