Deutsches Schulsystem diskriminiert

Das deutsche Schulsystem ist diskriminierend. Zu diesem Ergebnis kam der Expertenkreis „Inklusive Bildung“ der Deutschen UNESCO-Kommission Anfang November bei seiner Tagung in Bonn. Besonders behinderte Kinder und solche mit Migrationshintergrund werden überdurchschnittlich häufig an Sonderschulen unterrichtet und verlieren somit die Möglichkeit auf einen qualifizierenden Schulabschluss. Der aktuelle Pisabericht zeigt zudem, dass Migrantenkinder bei vergleichbarer Leistung eine fünfmal geringere Chance haben, eine Empfehlung für das Gymnasium zu erhalten, wie deutsche Schüler.
Auch der europäische Vergleich lässt das Schulsystem in Deutschland schlecht aussehen: während in Europa 85% der SchülerInnen mit Behinderung an einer allgemeinbildenden Schule unterrichtet werden, sind es in Deutschland nur 18%. Um das Ziel der inklusiven Bildung zu erreichen, fordert der Expertenkreis die Abschaffung des stark ausdifferenzierenden sonderpädagogischen Systems, mehr Investitionen in die Forschung der inklusiven Bildung sowie eine Anpassung der Lehrerausbildung und mehr Fortbildungsangebote für LehrerInnen. Zudem kritisierten die Experten, dass die Interpretation der UN-Konvention über die Rechte behinderter Menschen, welche Kindern mit Behinderung das Recht auf gemeinsamen Unterricht in einer allgemeinen Schule bietet, Auslegungssache der Bundesländer ist. Sie verlangten ein einheitliches Leitbild und eine Vorantreibung des Themas durch politische Initiativen.
Wie inklusive Bildung gelingen kann, zeigt das Projekt „Eine Schule für alle“, welche nach dem Vorbild der Gesamtschule in Hamburg Winterhude nun auch in Freiburg entstehen soll. Ziel ist es, eine Schule zu entwerfen, in der Kinder mit und ohne Behinderung und unabhängig von ihren Fähigkeiten und sozialen Hintergründen zusammen in einer Ganztagsschule unterrichtet werden. Die Bedürfnisse der SchülerInnen sollen dabei im Vordergrund stehen. Aus diesem Grund werden sowohl die SchülerInnen, als auch Eltern und LehrerInnen an allen Entscheidungen beteiligt. Der Unterricht findet in Einzel- und Gruppenarbeit in altersgemischten Klassen statt, die Inhalte werden eigenständig in Wochen- und Jahresplänen festgelegt und es erfolgt eine enge Zusammenarbeit zwischen Lehrkörpern, Sozial- und Heilpädagogen.
Dass Ganztagsschulen wie die „Schule für alle“ nicht nur die Inklusion sondern auch den schulischen Erfolg steigern können, zeigt die Studie des Bildungsforschers Eckhard Klieme. Er untersuchte über einen Zeitraum von vier Jahren den schulischen Erfolg von SchülerInnen mit und ohne Ganztagsangeboten. Dabei zeigte sich, dass die SchülerInnen an Ganztagsschulen weitaus seltener sitzen bleiben – lediglich 2,4% musste in der Sekundarstufe 1 eine Klasse wiederholen. Bei den SchülerInnen, die nicht auf eine Ganztagsschule gehen sind es mit 8,4% deutlich mehr. Auch das schwierige Verhalten, welches bei SchülerInnen im Alter zwischen elf und 15 an allgemeinen Schulen vermehrt zu beobachten ist, nimmt an Ganztagsschulen ab. Die Forscher betonten jedoch, dass die positiven Effekte stark von der Qualität der Ganztagsschule abhängen. So müsse der Ganztagsunterricht regelmäßig mindestens dreimal pro Woche stattfinden und der Unterricht auf die individuellen Bedürfnisse der SchülerInnen abgestimmt sein. Es bleibt zu hoffen, dass diese Erkenntnisse dazu beitragen werden, das zur Zeit stark selektierende deutsche Schulsystem durch ein inklusives ersetzen.
Ein Sonderschullehrer in Österreich schaffte sich und seine Schule sogar vollständig ab, indem er dafür sorgte, dass alle Schüler mit einer Behinderung in die Regelschule aufgenommen wurden.