Gender Pay Gap: Alles nur Auslegungssache?

Folgender Leitartikel erschien bei „Gleichstellung online“ im Verlag Dashöfer. Michael Stuber verfasst dort zweiwöchentliche Gastbeiträge zu Gender Diversity.
Dass Frauen bei gleicher Qualifikation signifikant weniger verdienen als Männer, erschien bislang geläufig und war als – zu verändernde – Tatsache bekannt. Auf Basis EU-weiter Analysen stand in den letzten Jahren stets ein Gehaltsunterschied von ca. 20% im Raum. Nun spricht das Statistische Bundesamt von einer realen Gehaltslücke von „nur“ 8%. Die Behörde bestätigt zwar in einer aktuellen Untersuchung, der Gender Pay Gap in Deutschland liege weiterhin konstant bei 23%, sieht aber gleichzeitig Bereinigungsbedarf. Zudem verlautet aus dem Bundesamt, der neue Wert von 8% sei eine Obergrenze, da weitere lohnrelevante Eigenschaften nicht in die Analyse einfließen konnten. Verglichen mit gängigen statistischen Toleranzen ist die Bandbreite von unter acht bis über zwanzig Prozent jedoch unüblich, wenn nicht vollständig unverständlich.
Tatsächlich unterscheidet das Statistische Bundesamt in seinen aktuellen Berechnungen den durchschnittlichen Bruttoverdienstunterschied (23%) von dem statistisch bereinigten Verdienstunterschied (8%). Die erhebliche Differenz entsteht den Angaben zufolge durch „strukturell unterschiedliche arbeitsplatzrelevante Merkmale von Männern und Frauen“. Demnach liegen die größten Unterschiede in der ungleichen Besetzung von Positionen, der Berufs- und Branchenwahl, den gewählten Arbeitszeitmodellen und der tendenziell schlechteren Ausbildung von Frauen. Diese Aufzählung erstaunt insofern, als dass die meisten dieser Punkte bislang als Mitverursacher unfairer Bezahlungsunterschiede bekannt waren und diese nun auf statistischem Wege ‚bereinigt’ werden sollen.
Besonders der Aspekt der Qualifikation scheint zunächst nicht zu den zahlreichen überschwänglichen Meldungen über viele gute Abschlüsse junger Frauen zu passen. Genau dort liegt aber der rechnerische Hase im statistischen Pfeffer: Die Untersuchung stellt die Verteilungen von Männern und Frauen nach Alter über die verschiedenen Bildungsabschlüsse dar. Demnach teilt sich die Statistik vor allem an der Altersgrenze von 35 Jahren. Jüngere Frauen verfügen seltener über einen Hauptschulabschluss oder die Mittlere Reife als Männer, ältere Frauen dagegen häufiger. Unabhängig vom Alter haben aber Frauen häufiger Abitur bzw. Hochschulreife als Männer und in der Altersgruppe bis 30 Jahre erzielen sie auch häufiger einen Fachhochschul- oder Universitätsabschluss. Da jedoch über 30 Männer häufiger einen Fachhochschul- oder Universitätsabschluss vorweisen als Frauen, gelangt das Statistische Bundesamt zum Gesamtergebnis, dass Frauen tendenziell schlechtere Bildungsabschlüsse mitbringen.
Die Untersuchung bestätigt indes, dass Männer unabhängig von ihrem Bildungsabschluss (!) häufiger eine leitende Position innehalten als Frauen. Gleichzeitig ist der Anteil an Frauen mit einem Universitätsabschluss in einer leitenden Stellung größer als bei Männern. Das Statistische Bundesamt schlussfolgert daraus, dass Frauen im Vergleich zu Männern häufiger einer Tätigkeit mit geringem Verdienst nachgehen. Darin sieht die Behörde keine Ungleichverteilung, sondern statistischen Bereinigungsbedarf.
Weiterhin ist von Interesse, welche Aspekte in die Verdienststrukturerhebung einflossen und welche nicht. Während neben Voll- und Teilzeitbeschäftigten auch Auszubildende, Praktikanten und geringfügig Beschäftigte berücksichtigt wurden, trifft dies nicht auf Selbstständige oder Arbeitnehmer aus der Landwirtschaft, der öffentlichen Verwaltung, der Sozialversicherung und aus Kleinstbetrieben zu. Auch Sonderzahlungen wurden außen vor gelassen. Damit ist durchaus fraglich, ob der ermittelte Gender Pay Gap tatsächlich die Gesamtsituation angemessen widerspiegelt. Dies zeigt sich auch mit Blick auf die Verdienstunterschiede nach Berufsgruppen. Bei GeschäftsführerInnen liegt dieser bei 37,2%, bei SteuerberaterInnen / WirtschaftsprüferInnen sogar bei 44%. In „typischen Frauenberufen“ wie LehrerInnen, KassiererInnen oder KellnerInnen liegt der Pay Gap unter 10%. Bei den KindergärtnerInnen und –pflegerInnen verdienen Frauen im Schnitt sogar 1,1% mehr als Männer. Dies sollte jedoch der Hoffnung keinen Vorschub leisten, denn die sogenannten typischen Frauenberufe sind statistisch gesehen deutlich schlechter bezahlt als sogenannte Männerberufe.
Insgesamt zeigt die Analyse der aktuellen Berechnungen, dass – wie längst bekannt – deutliche Bezahlungs-Unterschiede bestehen und dass eine teilweise Bereinigung vor allem über den Ausschluss struktureller Benachteiligungen möglich ist. Die erklärt zwar Teile des Pay Gaps, lässt diese jedoch keineswegs akzeptierter erscheinen.
Quelle: hier
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