Gender & Diversity – Why so slow?

Einen signifikant hohen und nachhaltigen Fortschritt bei der Verwirklichung des Zieles “Mehr qualifizierte und motivierte Frauen in Führungspositionen” kann ich in den letzten 20 Jahren nicht beobachten. Das gilt sowohl für
Deutschland, aber auch für ganz Europa, vielleicht auch weltweit. Ist das nicht merkwürdig? Sind doch national wie
international die Medien und Bibliotheken tausendfach voll mit engagierten Aussagen „man müsste, sollte dies aus
volkswirtschaftlicher, betriebswirtschaftlicher, gesellschaftlicher Perspektive tun“. Täglich flattern Ankündigungen zu entsprechenden nationalen und internationalen Workshops, Seminaren, Konferenzen auf den Tisch. Große Budgets
werden EU-seitig, von deutschen Ministerien, Stiftungen etc. zur Verfügung gestellt.
Inzwischen finde ich es auch gar nicht mehr so spannend, immer wieder im Kreise von Gleichgesinnten auszutauschen, was wir sowieso schon alles dazu wissen (denn eigentlich ist alles schon gedacht, gesagt, veröffentlicht). Ich werte das eher als einen Hilfe(auf)ruf. Oder uns zu bestätigen, dass eigentlich die anderen die Bremser sind. Ach wäre es doch alles schon Realität! Dann bräuchte man gar nicht mehr darüber zu reden. Es wäre gelebte Praxis und höchstens noch für einen Nachruf oder für Studien empirischer Vergangenheitsbewältigung relevant. Welch paradiesischer Zustand, hätte man doch wieder mehr Zeit und Raum, sich anderen wichtigen Themen zu widmen!
Aber die Realität ist eben nicht so! Warum also diese mageren Erfolge? „Why so slow“? Natürlich gibt es auch für
mich die bekannten Feindbilder und Bremser: Die Unternehmens-, die Führungs- und Leitkultur, die Vorgesetzten,
die mangelnde flexible (familienbewusste) Personalpolitik, Work-/Life Balance-Probleme, Doppelverdiener / Karriereprobleme
etc. usw. Wer kennt dies nicht – auch aus eigener Erfahrung?!
Gibt es denn überhaupt noch Aussicht auf Erfolg? Nun, die Hoffnung stirbt zuletzt. Setzen wir uns also weiter engagiert
für das gemeinsame Ziel ein, Gender & Diversity in der Praxis für alle Beteiligten spürbarer zu gestalten. Ich
sehe drei wesentliche Ansatzpunkte, um das Schneckentempo zu beschleunigen:
(1) Erstellung einer seriösen empirischen Studie darüber, in welchem Umfang Frauen tatsächlich karriereorientiert
sind. Es ist völlig klar, dass hier generelle Aussagen nichts nützen, sondern auch nach der Ausbildung, bisherigen Erfahrungen,
Alter, Lebenssituation u.v.m. der Frauen unterschieden werden muss. Ich hoffe, es wird der Satz hier weitestgehend
widerlegt: „Frauen fordern Förderung und fliehen dann doch.“ Oder: Könnte es sein, dass tatsächlich karriereorientierte
Frauen schon jetzt – relativ gesehen –vielmehr gefördert werden als Männer? Wenn ja, dann haben wir
ein Ziel (Anzahl) schon jetzt erreicht. Dann geht es eher um den „Preis“, den Frauen und Männer als Führungskräfte
unter WorkLife Balance-Gesichtspunkten für die Karriere „bezahlen“ bzw. „(nicht) bereit sind zu bezahlen“.
(2) Wir sollten mehr von Marketing-Spezialisten lernen, wie sie ein erklärungsbedürftiges Produkt (Gender & Diversity)
erfolgreich (mehr Frauen in Führungspositionen) auf einem schwierigen Markt (so, wie die Realität ist) platzieren.
Hier überzeugen heute nur wirtschaftliche Kriterien. Und es bedarf der Sprache der Wirtschaft, um überhaupt
ernsthaft gehört zu werden. Frauen wollen und wollten sich aber nicht mit betriebswirtschaftlichen Argumenten „vermarkten“
(lassen). Ein fataler Fehler. Denn man muss die Sprache der „anderen“ sprechen, um gehört und verstanden zu werden. Also Gender Marketing bitte auch so interpretieren! Und einsetzen! Keine Angst: im Ausdruck letztendlich
natürlich sozialverträglich.
(3) Ohne Macht wird nur gelacht! Warum soll ich mich (als männliche Führungskraft) für mehr Frauen unter/
neben/über mir einsetzen, wenn ich nicht ganz persönlich einen Nutzen davon habe? Was generell als Anreiz für
große Taten immer zieht: mehr Geld, schnellerer Aufstieg, mehr Ansehen. Aber gilt das auch für Gender & Diversity?
Man zeige mir mehrere Unternehmen, die ein solches Anreizsystem haben!
Natürlich gibt es da noch die anderen Argumente (wie den zukünftigen Fachkräftemangel), die zu mehr Gender &
Diversity führen können. Also, wo bleibt die Macht von Anreizsystemen in dieser Angelegenheit, die besonders auch
männliche Führungskräfte zu mehr Handeln im Bereich Gender & Diversity bewegen könnten? Da wird es wohl
nichts anderes nützen, als das Thema mit konkreten Unternehmens- und Bereichszielen zu versehen; in Mitarbeitergesprächen
das Thema zur Pflicht zu machen und konkrete, individuelle Ziele zu
setzen; das Qualitätsmanagement zu benutzen; sich um Auditierungen und
Zertifizierungen wie Total E-Quality, Audit Beruf und Familie oder genderdax
(www.genderdax.de) zu bemühen; Balance Scorecards entsprechend auszubauen etc.
Und ganz wesentlich: die Höhe der individuellen variablen Vergütungsbestandteile
auch vom Erfolg bzw. von der Zielerreichung im Bereich Gender & Diversity
abhängig zu machen. Schafft das die Praxis im großen Umfang? Wie gesagt: Ohne
(die) Macht (von Anreizsystemen) wird nur gelacht. Alternativen dazu haben wir
nun wahrlich seit Jahr-zehnten erfolgsschwach praktiziert.
Prof. Dr. Michel E. Domsch
Michel E. Domsch leitet das I.P.A. Institut für Personalwesen und Internationales Management und das MDC Management
Development Center. Gemeinsam mit Prof. Dr. Désirée H. Ladwig ist er verantwortlich für den genderdax, eine
internetbasierte Plattform, auf der ausgewählte Unternehmen ihre Maßnahmen im Bereich Gender & Diversity darstellen hier