Es ist ein Kreuz – und dabei müsste es das gar nicht sein

Nein – Religion ist „kein Thema“ in Deutschland. Seit ein paar Hundert Jahren herrscht Augsburger Frieden und die Säkularisation wurde auch irgendwann vollzogen. Wann war das eigentlich? Und wie konsequent wurde sie umgesetzt? Geradezu gespenstisch normal mutet es hierzulande an, dass evangelischer und katholischer Religionsunterricht – getrennt! – ebenso alltäglich ist wie konfessionelle Kindergärten und das automatische Eintreiben der Kirchensteuer durch die Finanzämter. Geradezu selbstverständlich plustern sich die ‚großen’ Kirchen bei Alltagsthemen als Interessenvertreter auf. Sie poltern gegen Madonna’s Pop-Show und gegen Sonntagsarbeit, während jüdische Beschäftigte selbstverständlich am Sabbat arbeiten müssen. Auch haben die christlichen Institutionen mitsamt ihren riesigen Betrieben rechtliche Sonderstellungen und pfeifen auf das AGG, was sie nicht daran hindert, dagegen zu polemisieren. Von wegen Trennung von Kirche und Staat. Die Trennung von Moschee und Staat bzw. von Synagoge und Staat klappt dagegen prächtig. Wir müssen leider draußen bleiben. Damals wie heute. Während katholisches Geläut und christliche Architektur die Nachbarschaft bedrängen darf, lösen geplan-te Moscheen unglaubliche Diskussionen aus. Zum Beispiel in Köln, wo das Stadtbild Thema der Auseinandersetzung um ein Minarett war. Das Stadtbild! In Köln! All dies ist Ausdruck und Beleg dafür, wie eng christliche Kultur mit deutscher Leitkultur verwoben ist. Dies sollte nicht länger verschleiert werden. Gleichzeitig muss die Situation als Ausgangspunkt für eine Weiterentwicklung gesehen werden, an deren Beginn eine intensive Auseinandersetzung mit anderen Religionen steht. Natürlich steht dabei eine weitere Aufarbeitung deutscher Geschichte auf der Agenda, und das ist gut, weil überfällig. Deutschland vermag nur dann seine Identität in einer globalisierten Welt festigen, wenn es auch seine religiöse Vielfalt berücksichtigt und integriert. Dazu bedarf es einer Anerkennung der vielen Unterschiede und der bestehenden Ungleichheiten! Nein, das ist nicht unbedingt angenehm, aber unumgänglich. Die Islamkonferenz stellte einen konstruktiven, aber zaghaften ersten Schritt dar. Aber Deutschland braucht ein beherzteres Voranschreiten. Es muss selbst-verständlich werden, vielfältigen Religions- und Ethikunterricht an Schulen zu halten. Und natürlich müssen entsprechende Lehrer hierzulande ausgebildet werden, um die verschiedenen Perspektiven vermitteln zu können. Wie kann es sein, dass wir in Deutschland – 40 Jahre nach der Zuwanderung vieler Muslime – plötzlich feststellen, dass wir (alle) versäumt haben, für eine Ausbildungsmöglichkeit von Imamen zu sorgen? Dass diese sämtlich aus der islamischen Welt importiert werden müssen, löst ange-sichts der politische Großwetterlage merkliches Unwohlsein und verdattertes Suchen nach Alternativen aus. Diese Friktionen sind ebenso hausgemacht, wie die anstehenden Probleme als Folge der schändlichen Fotos in Afghanistan. Es muss uns klar sein, dass derartige Entglei-sungen nicht nur von der islamischen Welt in Zusammenhang gebracht werden mit der harten Linie des deutschen Papstes, der zwar taktisch geschickt frühzeitig den Dialog mit anderen Religionen gesucht hat, in der Sache – Primat der katholischen Lehre – seinem Ruf als Hardliner aber gerecht wird. Deutschland muss wegen seiner Ge-schichte und Zukunft sowie wegen seiner Bedeutung in Europa – zusätzlich der Ratsvorsitz ante portas – eine umfassende Initiative in kultureller Hinsicht ergreifen. Von global aufgestellten Unternehmen kann die Regierung dabei einiges lernen. (ms)