Caritas erschließt gezielt migrantische Arbeitskräftepotenziale

Der Fachkräftemangel bei Ingenieuren ist inzwischen für viele Firmen spürbar. Für große Teile der Gesellschaft droht eine andere Knappheit direkt bemerkbar zu werden: Immer mehr Pflegebedürftige benötigen immer mehr Pflegekräfte, die über die traditionellen Wege nicht entwickelt werden können. Neue Ansätze sind gefragt und einer der größten Arbeitgeber des Sozialbereiches, die Caritas, hat eine der vielen neuen Initiativen auf MigrantInnen ausgerichtet.  

Auch wenn es kaum jemand gerne hören mag: die Zahl der Pflegebedürftigen in Deutschland steigt nach Berechnung des Bundesministeriums für Gesundheit von derzeit etwa 2,5 Millionen um 28 % auf 3,2 Millionen Pflegebedürftige im Jahr 2030. Der damit stetig wachsenden Arbeitsmarkt für Pflegekräfte umfasst derzeit gut 1 Million Fachkräfte und spürt bereits die Knappheit: Laut Caritas fehlen heute schon 30.000 Pflegekräfte. Bis zum Jahr 2030 wächst diese Lücke nach Berechnungen des Wirtschaftsforschungsinstituts RWI auf 200.000 Fachkräfte an. Da die Entwicklung nicht überraschend eingesetzt hat, gibt es schon länger Überlegungen zum Gegensteuern – zum Beispiel die Reaktivierung ausgebildeter Pflegekräfte nach längeren Familienpausen. Auch die Anwerbung aus dem Ausland gilt längst als einer der Königswege und die Caritas widmet sich mit der Initiative „Die Zukunft der Pflege ist bunt“ um ein brachliegendes Potenzial, das in Deutschland wenigenutzt wird: Sie wirbt um Auszubildende mit Migrationshintergrund und baut zudem die inter-kulturelle Kompetenz im Umgang mit vielfältigen Pflegebedürftigen aus.

In vier nordrhein-westfälischen Caritasverbänden läuft die Initiative derzeit an. Im Fokus liegt nicht nur die verstärkte Anwerbung von migrantischen Azubis, sondern auch ihre Begleitung durch die Ausbildung, die höhere Abbruchquoten aufweist als andere Branchen.

Ein wichtiger Baustein ist der direkte Kontakt der Caritasverbände mit SchülerInnen der Pflegeberufe, etwa im Solinger Fachseminar für Altenpflege. Dort können Kernkompetenzen der kultursensiblen Pflege bereits in der Ausbildung vermittelt werden. Ein weiterer Baustein der Betreuung der Auszubildenden sind die Sprechstunden der „Interkulturellen Fachstelle für Pflegeberufe“, in denen sich künftige PflegerInnen und Therapeuten mit Migrationshintergrund beraten lassen und austauschen können.

Nicht nur der Fachkräftemangel wird durch Pfleger und Pflegerinnen mit Migrationshintergrund gelindert, die Auszubildenden bringen weitere Stärken mit. Sie sprechen mehrere Sprachen und können sich kultursensibel insbesondere um Pflegebedürftige kümmern, die ebenfalls einen Migrationshintergrund aufweisen. Deren Zahl wird in Zukunft laut Caritas ebenfalls zunehmen, da in den 1960er Jahren die Einwanderung der sogenannten Gastarbeiter nach Deutschland begann, die nun in ein vorgerücktes Alter kommen.

Die Caritas könnte ein Vorbild für andere Branchen sein, wo ebenfalls die Potenziale junger MigrantInnen ungenutzt bleiben und wenig Beachtung auf Kunden mit Migrationshintergrund gelegt wird. Allerdings steht die Caritas gleichzeitig stark in der Kritik, da sie sich auf kirchliches Arbeitsrecht beruft, obwohl eine sehr große Zahl der Arbeitsplätze aus Steuergeldern bezahlt wird. Zumindest für diese steht eine gängige Diskriminierung aufgrund religiöser Zugehörigkeit sowie aufgrund sexueller Orientierung nicht nur als Vorwurf im Raum – sie wird von der Caritas als Arbeitgeberin vielerorts offen, unter Berufung auf den eigenen Rechtsraum, proklamiert. Eine der Diskriminierungsklage ist aktuell gescheitert: Ein langjährig Beschäftigter war wegen der Skandale um Missbrauchsfälle und Piusbrüder aus der katholischen Kirche ausgetreten und vom Caritasverband außerordentlich gekündigt worden. Unter Verweis auf die Loyalitätspflicht des Arbeitnehmers ließen LAG und BAG dies zu. Andere Urteile lassen jedoch Zweifel aufkommen, ob sich die Caritas langfristig auf „religiöse Unterweisung und verkündungsnahe Tätigkeiten“ berufen können wird. Inter-kulturelle Öffnung und neue Tendenzen in der Kurie mögen hier als Impulse wirken – gleichwohl denkt und arbeitet die Kirche in anderen Zeiträumen als andere Arbeitgeber.