Modellprojekt beschreibt die Entwicklung von „Willkommensbehörden“
So wichtig die Idee der „Willkommenskultur“ für die multi-kulturelle Zukunft Deutschlands ist, so sehr verkam der Begriff zunehmend zur leeren Phrase. Guter Wille zeigt sich derweil in guter deutscher Manier darin, dass ein 2-jähriges Modellprojekt mit zehn Ausländerbehörden an der hehren Vision gearbeitet hat. Das glückliche Timing wollte, dass die Abschlussveranstaltung just am 3. November 2015 stattfand. Bundesinnenminister de Maiziere meinte anlässlich des Events gar, dass man dem „aktuellen Ansturm“ von Flüchtlingen ohne das Projekt hätte „nicht gerecht werden können“. Konkrete Ergebnisse wie ein Werkzeugkoffer wurden allerdings erst dort vorgestellt.
Bei der Abschlussveranstaltung des Modellprojektes „Ausländerbehörden-Willkommensbehörden“ in Berlin die präsentierten die TeilnehmerInnen ihre Erfahrungen mit dem „neuen“ Ansatz und einen Werkzeugkoffer, mit dem Kommunen und Länder selbstständig eine Willkommens- und Dienstleistungskultur in ihren Ausländer- und anderen Behörden etablieren können sollen. Dass dieser Anspruch hoch gegriffen erscheint, erkennen Diversity-Praktiker intuitiv. Und ein Blick auf den Werkzeugkoffer bestärkt erste Zweifel. Zwar ist dieser professionell und mit hohem Nutzwert gestaltet und enthält 24 Module in fünf Bereichen: Selbstverständnis, Binnenorganisation, äußeres Erscheinungsbild, Kompetenzen und Vernetzung. Die technisch-praktischen Aspekte sind genau und gut vernetzt ausgearbeitet. Von mehrsprachigen Formularen über Räumlichkeiten bis hin zur Website und zur Personalauswahl und –entwicklung finden sich Beschreibungen von Umsetzungsschritten mit Beispielen und Erfolgsfaktoren. Der fundamentale Baustein der Entwicklung eines neuen Selbstverständnisses umfasst derweil nur drei sogenannte Werkzeuge, die zudem ebenfalls technischer Natur sind: Transparenz, Prozessgestaltung und Handlungsleitlinien. Wir vermissen die Elemente, die auch in den frühen Jahren von „Diversity“ dazu führten, dass Projekterfolge in Nischen gefeiert werden konnten, aber keine fundamentale Kulturveränderung angestoßen wurde. Hierfür ist eine Reflexion der herrschenden Kultur erforderlich – im Falle von Ausländerbehörden sind dies die Grundannahmen, unter denen Deutschland (und seine Länder und Kommunen) kultureller Vielfalt begegnet. Im aktuellen Kontext wäre zum Beispiel zu fragen, wieso die Haltung vieler Deutscher gegenüber Flüchtlingen aus Syrien so anders ist als sie gegenüber Flüchtlingen aus Osteuropa nach dem zweiten Weltkrieg oder aus Russland um 1990 war. „Ein erweitertes Selbstverständnis kann nur entstehen, wenn die derzeitige Identität und Kultur mit ihrer Entstehungsgeschichte positiv anerkannt wird“, fasst Diversity-Experte Michael Stuber den Aspekt zusammen.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hatte im Oktober 2013 zusammen mit zehn Bundesländern das Modellprojekt initiiert und zehn Ausländerbehörden in den Bereichen Strategie- und Organisationsentwicklung, Personalentwicklung und Vernetzung vor Ort begleitet. „Eine Willkommens- und Anerkennungsgesellschaft, die der wachsenden Vielfalt vorurteilsfrei begegnet und die Potenziale, Leistungen und Grenzen von allen anerkennt, ist von großer Bedeutung“, sagte Bundesinnenminister Thomas de Maizière und wies darauf hin, dass für neu ankommende Zuwanderer „die Ausländerbehörden ein Gesicht Deutschlands“ seien. Dass die anderen staatlichen Gesichter, die Vorbehalte und Vorurteile schüren, womöglich mehr Schaden anrichten als die Ausländerbehörden positive Wirkung entfalten können, blieb wohl unerwähnt.
Staatssekretärin Dr. Silke Albin aus dem Thüringer Ministerium für Migration, Justiz und Verbraucherschutz fand lobende Worte zum Modellprojekt. „Als Vertreterin der Integrationsministerkonferenz freue ich mich besonders über die Ergebnisse des Modellprojekts. Sie stellen einen wichtigen und richtungsweisenden Ansatz für die Etablierung einer Anerkennungs- und Willkommenskultur dar.“ Es komme nun darauf an, die Ergebnisse mit Leben zu füllen und schnellstmöglich für die alltägliche Arbeit mit Flüchtlingen und Migranten nutzbar zu machen und zwar nicht nur in den Ausländerbehörden. „Denn Integration ist ein Querschnittsthema für die gesamte öffentliche Verwaltung in Bund, Ländern und Gemeinden sowie für alle gesellschaftlichen Einrichtungen.“ Dieser letzte Aspekt dürfte wohl in Zukunft von besonderer Bedeutung werden, um vor allem in die sogenannte Mitte der Gesellschaft hinein zu wirken. „Große Teile der Gesellschaft werden von negativen Botschaften geleitet, die Politiker, Medien und Meinungsführer durch ihre Wortwahl perpetuieren“, warnt Stuber. Deutschland habe eine unrühmliche Historie, immer wieder vermeidbare Fehler im Umgang mit Vielfalt zu machen.
Immerhin, auf der Abschlussveranstaltung des Modellprojektes kamen rund 120 Teilnehmende zusammen, die ganz überwiegend aus den spezifischen Themenressorts stammten. Neben Bundesinnenminister Thomas de Maizière und Staatssekretärin Dr. Silke Albin nahmen zahlreiche Repräsentanten der Innen- und Sozialministerien der beteiligten Länder sowie Vertreterinnen und Vertreter der beteiligten Modellstandorte teil: Bietigheim-Bissingen (Baden-Württemberg), Deggendorf (Bayern), Potsdam (Brandenburg), Wetteraukreis (Hessen), Essen (Nordrhein-Westfalen), Mainz (Rheinland-Pfalz), Chemnitz (Sachsen), Magdeburg (Sachsen-Anhalt), Kiel (Schleswig-Holstein), Weimar (Thüringen). Die Ausländerbehörden Heidelberg (Baden-Württemberg), Erlangen (Bayern), Kassel und Wiesbaden (Hessen), Köln (Nordrhein-Westfalen) und Dresden (Sachsen) standen dem Projekt als Partnerbehörden zur Seite. Außerdem waren das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, das Auswärtige Amt, das Büro der Beauftragten für Migration, Flüchtlinge und Integration, Forschungseinrichtungen, Stiftungen, Netzwerke sowie weitere interessierte Ausländerbehörden zu Gast.
Der Werkzeugkoffer steht auf der Internetseite www.bamf.de/werkzeugkoffer des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge zur Verfügung. „[Er] ist der Verdienst aller beteiligten Ausländerbehörden. Er soll helfen, neue Impulse in der Arbeit zu setzen, Bewährtes weiterzuverfolgen, Innovationen zu wagen und Maßstäbe zu setzen“, sagte der Vize-Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Dr. Michael Griesbeck auf dem Event.