Wieder geht Deutschland einen Sonderweg
eit Jahren rumpelt es in der deutschen Volksseele. Die „harmonischen innerbetriebliche Abläufe“, auf die laut
Bundesverband der Freien Berufe (BFB) Personalentscheidungen „in hohem Maße“ ausgerichtet sind, drohen nachhaltig gestört zu werden. Das Schreckgespenst deutscher Verbandsfunktionäre – alles Männer – ist das AGG, das nach langem, gerade für Deutschland unendlich peinlichem Gewürge, auf seine Verkündung wartet. Wann zuvor wurde eine juristische Debatte so emotional geführt? Richtig: Beim Doppelpass, bei der Greencard, bei der HomoEhe und in der Zuwanderungspolitik. Anscheinend brennen gerade dann, wenn Unterschiede im Spiel sind, die Sicherungen der Deutschen durch. Das ist einerseits verständlich, da Menschen von Natur aus – besser: von Erziehung aus – unbeholfen sind, wenn es um „Andere“ geht. Andererseits kommt unser kollektives Trauma der Nazivergangenheit hinzu. Diesem versuchte man bisher, durch Gleichmacherei zu entgehen. Dass Farbenblindheit faktisch unmöglich ist, wissen Sehende, da sie die Hautfarbe des Gegenüber wahrnehmen. Dennoch führte allein das romantisierte Ideal der Gleichheit zur nationalen Überzeugung, es gäbe keine „Diskriminierung“. Dem BFB sind zum Beispiel „keine Probleme (…) bekannt“. Als Berater in der betrieblichen Wirklichkeit sehen wir täglich Gegenbeweise. Der Grund dafür wird vom BFB freimütig mitgeliefert: Diverse Personalentscheidungen würden „In der Regel (…) aus dem Bauch heraus“ getroffen. Da viele eine starke Affinität zu Ihresgleichen haben, finden wir in den Führungskreisen von Wirtschaft und Politik Sportsfreunde, Studienkollegen, Bundeswehrkumpel und andere Vettern. Frauen oder Migranten schaffen es in unserem System, in dem es nicht nur um die Leistung, die Qualifikation und die Potenziale
geht, nicht. Und genau das, und nur das, wollte Deutschland ändern, als es den EU-Antidiskriminierungsrichtlinien
im Rat der EU zustimmte. Eine Veränderung ist dringlich: Unser Harmoniestreben führte bislang zu
Mainstreamdenken und eklatanter Inkompetenz, auf internationale Ebene mehrwertorientiert zu kooperieren. Viele unserer wirtschaftlichen Schwierigkeiten wurden dadurch begünstigt,dass wir praktisch keine Antidiskriminierungsregelungen hatten. Im Gegenteil: Im vielfach angeführten Kündigungsschutzgesetz
findet sich sogar eine massiv benachteiligende Vorschrift: Die Sozialauswahl, die Arbeitgeber im Zweifelsfall verpflichtet, qualifizierte Beschäftigte zuerst zu entlassen. Kulturelle und systemimmanente Gründe bewirkten eine geringe wirtschaftliche Beteiligung von Frauen, Alten und Migranten, die in anderen Ländern zu Beschäftigung (!) und Wohlstand geführt hat. Davon will der Mainstream hier nichts wissen. Eine kindische Reaktion besteht in der Eliminierung des Begriffes „Diskriminierung“ – weil das so hässlich tönt – im neuen Gleichbehandlungsgesetz.
Diese semantische Änderung wird noch zu vielen Problemen führen, da sie eine völlig falsche Richtung suggeriert: denn Gleichbehandlung unterschiedlicher Menschen führt systematisch zu Benachteiligung! Der juristische Sonderweg öffnet zudem normativem Leitkulturgehabe Tür und Tor, nach dem Motto: „Diese Regeln sind hier für alle gleich!“. Dass Juristen die unselige Debatte monopolisierten ist umso bedauerlicher, als dass sie schon früh ihr Unverständnis der Materie eingestehen mussten. Folglich flüchteten sie sich in Polemik wie „Bürokratie“, „Schaden“
oder „ureigene Freihheitsgrade“. Bundesministerin Zypris erkannte viel zu spät, dass mit „ideologischer Schärfe“ diskutiert wird. Gerade sie und ihre KollegInnen aus diesem und dem Vorgängerkabinett haben es versäumt, die Chancen und Vorteile von Antidiskriminierung zu erläutern. So fiel es der Journaille stets leicht, die Weltuntergangsszenarien von Dr. Gehb & Co. nachzuklappern. Gestern noch pervertierte das „Handelsblatt“ eine Randstad-Studie in einem fahrlässig einseitigen Artikel. Wenn man schon keine positiven Stimmen im eigenen Land hören will, sollte man wenigstens Vorbilder außerhalb der eigenen Grenzen wahrnehmen. Frankreich zum
Beispiel. Dort haben sich führende Unternehmen in einer gemeinsamen Charta zur Förderung von Vielfalt verpflichtet. Über die EU-Richtlinien hinaus werden sich die Anfangs 60, jetzt schon über 300 Unterzeichner, auch öffentlich zu ihren Aktivitäten der Sensibilisierung und Integration austauschen. So einfach kann Antidiskriminierung erfolgreich sein.
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