Am liebsten gratis: Ausnutzung oder Missbrauch des Ehrenamts?
Die jüngste wirtschaftlich angespannte Lage bietet Unternehmen einen neuen Vorwand, nach Sparpotenzialen zu fahnden. Vor zwei bis fünf Jahren waren es noch ambitionierte Shareholder-Value-Ziele, jetzt dient der drohende Bankrott dazu, Budgets zu minimieren. In dem paradoxerweise schmächtig ausgestatteten Bereich der optimalen Potenzial-Nutzung – kurz Diversity – zeigen sich jüngst zwei bedenkliche Trends: Die Minimalisierung und die Freiwilligenrekrutierung.
Die Minimalisierung zeichnet sich durch leicht reduzierte Personalausstattung und durch gegen Null strebende Budgets aus. Letztere dürfen sich die für den Change-Prozess verantwortlichen dann fallweise genehmigen lassen, falls sie in der Lage sind, einen robusten ROI nachzuweisen. In anderen strategischen Themenfeldern ist dies freilich anders. Dort werden Notwendigkeit und Nutzen gesehen und entsprechend gehandelt. Im Bereich Diversity jedoch erkannten pfiffige Manager, dass man die intrinsische Motivation der Beteiligten zum eigenen Vorteil nutzen kann. So fühlen sich engagierte Menschen, häufig Frauen, geradezu geschmeichelt, wenn sie zusätzlich zu ihren ein bis drei Jobs auch noch das Thema Diversity verantworten dürfen. Dass sie nicht im HR-Bereich tätig sind, wird gerne zur Bestätigung der Businessorientierung herangezogen, ganz nach dem Motto: „Bei uns ist es kein Personalthema“, heißt es dann stolz. Für das Unternehmen birgt diese Lösung viele Vorteile: Es entstehen keine Mehrkosten und es besteht kaum eine Gefahr, dass echte Veränderungen eintreten. Dies ändert sich auch kaum, falls der zweite Trend zeitgleich eintreten sollte:
Die Freiwilligenrekrutierung zeichnet sich durch den unbezahlten Charakter der Tätigkeiten und den Laienstatus der Beteiligten aus. Vor allem die Diversity-Mitarbeiternetzwerke basieren fast vollständig auf ehrenamtlichem Engagement, nur dass dieses für einen wirtschaftlichen Zweck eingesetzt wird. Wieder ist es die intrinsische Motivation der Beteiligten, die das Modell zum Erfolg werden lässt: Sie setzen sich für eine Sache ein, die politische und gesellschaftliche Ziele verfolgt. Der Arbeitgeber erkennt dies mit salbungsvollen Worten an und gestattet den Netzwerken, marginale Budgets selbst zu verwalten, während mittlere Summen wiederum gegen den Nachweis der Wirtschaftlichkeit beantragt werden müssen – und deren Unterstützung u. a. der Tagesstimmung ausgeliefert ist.
Wie strategisch ist ein Thema tatsächlich verankert, das entweder minimal ausgestattet oder ehrenamtlich getrieben ist? Nach den großen Fortschritten Mitte der 2000er Jahre sackte Diversity in der Professionalität der Bearbeitung dramatisch ab. Dazu haben auch die vielen selektiven Medienberichte beigetragen, die entweder den Projektcharakter oder die persönliche Betroffenheit in der Themenbearbeitung betonten. Nun befinden sich viele Akteure in dem Teufelskreis, dass sie durch die nicht-vorhandene Ausstattung und die nicht-vorhandenen Veränderungsinstrumente kaum Ergebnisse erzielen, was gleichsam ihre weitere Existenz gefährden wird.
Eine parallele Entwicklung zeichnet sich derweil im politisch-gesellschaftlichen Bereich ab. Auch dort steht das interessengeleitete Engagement im Vordergrund. Immer mehr Verbände erkennen, dass ihre Alltagsexpertise als Teil eines Deals mit Wirtschaftsunternehmen eingesetzt werden kann, um die eigene Finanzierung etwas komfortabler zu gestalten. Die personifizierte Schubladisierung stärkt jedoch das Konkurrenzdenken zwischen den Themen, Gruppen und Projekten. Wieder lacht sich das Management ins Finanzfäustchen, denn erstens kann man wiederum Geld einsparen und für das Sponsoring der eigenen Lieblingssportart einsetzen, und zudem bleibt die eigene Machtposition ungefährdet, wenn fragmentierte Initiativen sich gegenseitig ihren ohnehin begrenzten Aktionsradius streitig machen. Ein wesentliches „Verkaufsargument“ stellt hier die fehlende Gewinnorientierung dar. Schon nahezu moralinsauer schaut Non-Profit auf die angeblich kommerziellen Akteure herab. Dabei übersehen alle Beteiligten ebenso regelmäßig wie gerne, dass Mitarbeiter großer Think-Tanks satt (oder knapp) 6-stellig verdienen. Dass der Gewinn nicht an Gesellschafter ausgeschüttet, sondern weiter verwendet wird, stellt indes keinen Unterschied zu selbständigen Innovatoren dar.
Apropos: Die Innovationsforschung hat schon vor über 15 Jahren nachgewiesen, dass Fach-. Macht- und Prozesspromotoren unabdingbare Erfolgsfaktoren für Innovationsprozesse darstellen. Diversity stellt einen solchen dar und benötigt zweifelsohne genau diese Akteure und deren Bewusstsein für ihre Rolle(n). Ohne einen ganzheitlich organisierten Veränderungsprozess fragen sich die vielen, gutgemeinten Ehrenamtsprojekte in ca. zwei Jahren, warum sie nicht mehr sichtbare Effekte oder Resultate erzielt haben. Dieses Schicksal ereilt derzeit schon einige Fraueninitiativen, die über mehrere Jahre als professionelle Grassroots unterwegs waren. Aber keine Bange: Wellenbewegungen waren immer schon ein Grundprinzip der Wirtschaft – sie gelten gleichsam für Diversity. ms