35 Jahre Investment-Erfolg mit Diversity
Diversity gilt als Treiber für Innovation, Markterfolg und damit steigende Firmenwerte und kam dennoch jüngst unter anti-woken Beschuss. Was sagen Finanz-Analysen dazu?
Der Beitrag wurde für 4investors verfasst und dort zuerst (in angepasster Form) veröffentlicht.
Es lohnt, zunächst den Blick auf eine Studie zu richten, die zu Beginn der Diversity-Ära durchgeführt wurde: Auf die Ankündigung der US-Amerikanischen Affirmative Action Gesetzgebung reagierten die Aktienmärkte zwischen 1986-1992 positiv. Damals erschien es offensichtlich, dass die bewusste Berücksichtigung aller Talente nach allen wirtschaftlichen Gesichtspunkten Sinn ergibt. Umgehend etablierten sich Aktienindizes, die Diversity-Kriterien als zusätzlichen Filter über ein Investment-Universum legen: Auf den Domini400Social Index (1990) folgten Calvert Social und Dow Jones Sustainability.
Vom Hype zum Dauerbrenner
Wissenschaftliche Auswertungen zeigen mittlerweile, dass diese drei, z. B. von 1990-2004, ihren Benchmark, den S&P 500 schlugen, wenn auch nicht in jedem Zeitabschnitt, und dass dies keine Scheinkorrelationen sind. Seit 2006 performt der inzwischen MSCI KLD400 Social genannte Index weit über dem Vergleichsportfolio (z. B. + 100 vs. 93% in 5 Jahren, + 270 vs. 197 % in 10 Jahren).
Eine weitaus einfacher angelegte Auswertung des deutschen Aktienmarktes ergab im Zeitraum 2002 bis 2010 für B2C Unternehmen mit höheren Frauenanteilen sowohl in Aufsichtsräten wie auch unter den Beschäftigten signifikant höhere Kapitalrenditen, Eigenkapitalrenditen und höhere KBVs.
Kritische Fragen zu komplexen Zusammenhängen
Um zu verstehen, wie belastbar solche Ergebnisse sind, müssen berechtigte kritische und insofern essentielle tiefere Fragen geklärt werden:
- Welche Faktoren oder Kriterien hängen mit höherer Performance zusammen (bestimmte Vielfaltsmerkmale, verbindliche Richtlinien oder spezifische Personalprozesse)?
- Geht die Auswahl bestimmter Aktien (und damit der Ausschluss anderer) nicht auch zu Lasten der Performance, z. B. eines ESG- oder Diversity-Indexes?
- Sind Wirkungszusammenhänge nachweisbar oder handelt es sich um Scheinkorrelationen oder umgekehrte Wirkungen (erfolgreiche Firmen ‚leisten sich‘ Diversity)?
- Wie verlässlich sind die Aussagen über Zeiträume, Regionen oder Branchen hinweg?
Tatsächlich klärte eine große Zahl meist wissenschaftlicher Studien diese Fragen über insgesamt 35 Jahre hinweg. Von allen fanden einzelne Studien negative Zusammenhänge zwischen Diversity & Inclusion und wirtschaftlichem Erfolg, während der weitaus überwiegende Teil positive oder neutrale Effekte zeigte. Weiterhin fielen die Ergebnisse über Regionen/Länder, Branchen und Unternehmensgrößen hinweg sehr ähnlich aus.
Über 1.000 Einzelstudien und mehrere Metaanalysen
Besonders klar, umfassend und aufschlussreich beschreibt ein Bericht der Rockefeller Asset Management und der NYU Stern die Forschungslandschaft: Er aggregiert über 1.000 Studien (!), die zwischen 2015 und 2020 angefertigt getrennt nach Analysen zum Unternehmens- bzw. Investmenterfolg.
- 58% der Unternehmensstudien fanden einen positiven Zusammenhang von ESG und ROA, ROE oder Aktienkurs (13% neutral, 21% gemischt, 8% negativ)
- 59% der Investmentstudien zeigten eine ähnliche oder bessere (Alpha oder Sharpe Ratio) Performance von ESG versus traditionellen Portfolien, 14% performten schlechter
Der Bericht zitiert 13 weitere ähnliche Metastudien, die alle (!) einen positiven Zusammenhang von ESG und Aktienkurzperformance fanden und 2 Investment-Metastudien, die einen neutralen Zusammenhang (also ähnliche Performance) zeigten.
Was BlackRock (u.a. Larry Fink und Friedrich Merz) zu Diversity weiß
Auch ein ausführlicher Bericht des Unternehmens BlackRock, das von Investmentmagnat Larry Fink mitgegründet und bis heute geführt wird und in dessen deutscher Tochtergesellschaft Friedrich Merz von 2016 – 2020 Aufsichtsratsvorsitzender war, zeigt am Beispiel ‚Gender‘, dass bewusst gestaltete Vielfalt konsistent positiv für wirtschaftlichen Erfolg ist. Die FinanzexpertInnen des weltweit größten Asset-Managers rechnen vor, dass es dabei auf folgende Punkte ankommt:
- Ausgewogenheit (‚closest to parity‘),
- Konsequentes Talentmanagement (‚representation between middle management and the overall workforce‘ und ‚promote more women into senior roles‘),
- Anerkenntnis der gläsernen Decke
- Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben (‘higher average maternity leave’) und
- Messung und Transparenz (‚human capital and diversity metrics … established as drivers of financial performance).
Mit seinem Bericht war BlackRock einerseits ein Nachzügler und verfolgte zudem einen stark fokussierten Ansatz: Alle sechs Autoren sind Frauen und schreiben über ‚investing in women‘; sie begründen dies mit der höheren Verfügbarkeit von Repräsentationsdaten für Frauen… Auch wenn diesen Managerinnen (aus den Bereichen Global Client Business, Global Product Group, Investment Institute und iShares Investment Strategy) zahlreiche Studien nicht bekannt waren, ihre spezifischen Ergebnisse sind deutlich. Daher erscheint es fragwürdig, wenn aktuelle oder ehemalige Top-Manager von BlackRock sich derzeit negativ über Diversity oder Nachhaltigkeit äußern. Sie sind ihnen nämlich als wirtschaftliche Erfolgsfaktoren bekannt und ihre aktuellen Aussagen bedeuten oder beinhalten negative Effekte/Auswirkungen für Unternehmen und die Volkswirtschaft.
Erklärungen für variierende Ergebnisse
Weshalb die Ergebnisse von Vergleichsanalysen sowohl vor wie auch nach der Einrichtung der 17 SDGs (2015, Vereinte Nationen) unterschiedlich ausfallen, untersuchten weitere wissenschaftliche Studien. Eine Analyse errechnete, dass 56% der Abweichungen auf unterschiedliche Messansätze zurückzuführen sind (Kategorien, Kriterien und Messgrößen), 38% auf den Umfang der Erhebung (Anzahl der Kriterien) und 6% auf unterschiedliche Gewichtungen. Aus Investmentsicht bietet diese Varianz die Chance, unterschiedliche Produkte für verschiedene Anlegertypen zu kreieren – z. B. die nachfolgend erwähnten neueren Fonds.
Der Reifegrad als variabler Hebel
Eine weitere zentrale Erkenntnis mehrerer Studien ist der Wirkungszusammenhang von Diversity oder ESG und verbesserter Performance: Erhöhte Innovationsfähigkeit, Leistungsoptimierung und Risikomanagement (vor allem in Krisensituationen) sind häufig belegte Bindeglieder (‚mediating factors‘). Analysen zeigen zudem, dass die Effektstärke mit dem Reifegrad einer Organisation variiert: ESG Leaders und Laggers erzielen geringere Vorteile als das (untere) Mittelfeld, das Verbesserungen leicht realisieren kann, die rasch und/oder deutlich wirken.
Verschiedene Investment-Produkte
Mit den Erkenntnissen der überlegenen Performance und der stark wachsenden Nachfrage entstanden eine Bandbreite von aktiv gemanagten Fonds (mit eigenen Kriterien) sowie passive Produkte, die auf einem der sozialen oder ESG Indizes (z. B. FTSE4Good, FTSE Diversity & Inclusion, FTSE Europe Equal Opportunitites Select, Solactive Equileap Global Gender Equality) basieren. Vier neuere Produkte illustrieren die Bandbreite:
- Der Nordea Global Diversity Engagement Fund fokussiert seit Februar 2019 auf absehbare Effekte von D&I Management im Frühstadium (Aktuelles Volumen 698 Mio. USD, Performance über MSCI ACW Benchmark)
- Der Mirova Women Leaders and Diversity Equity orientiert sich seit April 2019 vor allem an der Fraueninitiative der Vereinten Nationen und achtet besonders auf die Genderverteilung im Management. (Aktuelles Volumen 279 Mio. EUR, Performance wie MSCI ACW Benchmark)
- Der M&G Diversity und Inclusion Fund kombiniert seit November 2021 Kriterien zu Vielfalt im Management und Aktivitäten zur Förderung von Chancengleichheit. (Aktuelles Volumen 20 Mio. EUR, Performance unter MSCI ACW Benchmark)
- Der Calvert Sustainable Diversity, Equity & Inclusion fokussiert seit Januar 2023 auf US-amerikanische Großunternehmen, die führend oder aktiv im Thema DEI sind und mindestens eine Frau im Vorstand haben. (Volumen 31 Mio. USD, Performance wie Russell 1000 Benchmark)
Die Erfahrungen dieser neuen Ansätze illustrieren zwei frühere Forschungsergebnisse:
- Die Vorteile von ESG-basierten Investmentstrategien zeigen sich über längere Zeiträume immer deutlicher
- der enge (oder strenge) Fokus auf Repräsentationszahlen (aka Quoten) bildet keinen tragfähigen Ansatz an sich – es braucht breit orchestrierte Hebel.
Der über Jahrzehnte erforschte Wirkungszusammenhang
Etliche AutorInnen monieren in ihren jeweiligen Ausführungen, dass „zu wenig“ über die Zusammenhänge von DE&I, Innovation, Effizienz und Unternehmenserfolg bekannt sei. Diese Kritik hält einer Überprüfung nicht stand. Denn von 2006 bis 2018 präsentierte eine Serie von Metaanalysen (IBCR) den jeweiligen Forschungsstand – sorgfältig nach Qualitätskriterien ausgewählter globaler Studien. Der aktuellste Bericht enthält 255 Studien aus 3 Jahrzehnten, die die Entstehung unterschiedlicher wirtschaftlicher Mehrwerte eines aktiven, zielgerichteten Vielfaltsmanagements in verschiedenen betrieblichen Kontexten (Vertrieb, Motivation, Teamwork) verlässlich untersucht haben.
Die Erkenntnisse aus 35 Jahren Diversity Forschung zeigen für ManagerInnen, InvestorInnen und PolitikerInnen, dass eine bewusste und pro-aktive Berücksichtigung der Vielfalt von Beschäftigten, Kunden und weiterer Stakeholder positive wirtschaftliche Effekte zeigt. Welcher Hebel sich in einer konkreten Situation ergibt, muss mit Bedacht und Expertise geklärt werden.
