Religion und Diversity – Bestandteil oder Widerspruch?

Ein ganzheitlicher Diversity–Ansatz zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass die Vielfalt innerhalb diverser Gruppen und die Dynamik zwischen verschiedenen Themen adressiert werden. In der Praxis stellt sich jedoch mitunter die Frage, wie mit möglichen Werte–Konflikten umzugehen ist. Zugespitzt geht es um die Grundsatzentscheidung einer absoluten Freiheit für Jedermann oder –frau versus einer Grenzziehung dort, wo „Andere“ negativ berührt werden. In den vergangenen Wochen wurden mehrere solcher gesellschaftlicher Bruchstellen im Kontext des Themas Religion deutlich – und zwar besonders für die drei Weltreligionen Christentum, Judentum und Islam.
So hat einer der zuverlässigsten und hartnäckigsten Kritiker schwul–lesbischer Lebensweisen, Papst Benedikt XVI., erneut den Zorn der Community auf sich gezogen – mit strittigen Thesen zum vermeintlichen Alleinstellungsmerkmal der klassischen Familie. Bei einer Ansprache vor 160 Diplomaten behauptete das Kirchenoberhaupt, dass es sich bei der klassischen Familie nicht um eine „bloße gesellschaftliche Konvention, sondern um die Grundzelle der ganzen Gesellschaft“ handele. Die Staaten der Welt müssten nach Ansicht des deutschen Papstes eine Politik betreiben, die den „Wert der Familie“ betone, um nicht ihre eigene Entwicklung zu gefährden. Vertreter von Schwulen– und Lesbenorganisationen werteten die Aussagen des Führers der katholischen Kirche als erneute Diskriminierung homosexueller Partnerschaften. Diese erfüllen jedoch nach Ansicht der GLBT Community eine ebenso wichtige Rolle zum Erhalt der Gesellschaft, insbesondere wenn sie Kinder adoptieren oder eigene Kinder haben.
Dieser Fall zeigt, dass der Umgang mit der Dimension „Religion“ aus Diversity–Sicht nicht simpel ist. Zwar gehört das Thema als Kerndimension untrennbar zum Vielfaltskonzept, gefährdet sich selbst jedoch in der Ablehnung anderer Kerndimensionen. Ähnliches zeigte sich jüngst, als orthodoxe Juden in Israel tanzende Mädchen (in einem einsehbaren Gebäude) aus dem Stadtbild verbannen wollten. Die hier betroffene Selbstbestimmung und Freizügigkeit von Frauen galt sonst nur in einigen islamischen Ländern als kritisch. Aus moslemischer Sicht könnten die Wellnessbereiche in hunderten von Luxushotels auf den Malediven gegen die religiösen Grundsätze verstoßen. Dies bat der Präsident des Inselstaates das oberste Gericht zu prüfen.
Diversity–Experte Michael Stuber stellt klar, dass Konflikte zwischen den einzelnen Diversity–Dimensionen kein Tabu sind: „Reibungspunkte zwischen Diversity–Aspekten sind an der Tagesordnung und nicht leicht zu handhaben; gleichzeitig bieten sie einen konkreten Anlass für den Austausch und werden so zu Chancen.“ Spannungen treten nach der Beobachtung des Beraters vor allem dort auf, wo eine religiöse Kultur dominiert – also Christentum in der westlichen Welt oder Islam in moslemischen Ländern. „Entsprechend regionen–spezifisch sehen die Ansätze aus, die wir jeweils entwickelt haben,“ erklärt Stuber. Der Diversity–Experte empfiehlt den beidseitigen Austausch beginnend mit einer Schärfung des eigenen Bewusstseins für Werte und Präferenzen – wie bei der Bearbeitung einzelnder Diversity–Themen, z. B. in der inter–kulturellen, inter–generationalen oder zwischen–geschlechtlichen Arbeit.