Wenn Fortschritt nur an Quoten gemessen wird

Während in der Schweiz eine aktuelle Studie klare Worte zum Verbesserungsbedarf in Sachen Gender Diversity findet, stellt eine deutsche Studie fest, alles sei „auf einem guten Weg“. Das Problem: Beide fokussieren auf die jeweiligen Frauenanteile im Management.

Eine neue Studie des Credit Suisse Research Institute zeigt, dass der Frauenanteil in Verwaltungsräten von Schweizer Unternehmen in den vergangenen acht Jahren zwar um 55% gestiegen, aber im internationalen Vergleich weiterhin niedrig ist. Auch hinsichtlich der Vertretung von Frauen im Senior Management habe die Schweiz großen Aufholbedarf: Der weibliche Anteil sei dort nur halb so groß wie im globalen Durchschnitt, so die Studie.

Eine Studie, die die Zielsetzungen deutscher Unternehmen im Kontext des sogenannten Quotengesetzes untersuchte, fand heraus, dass die befragten Unternehmen Erhöhungen der Frauenanteile in den Vorständen, Aufsichtsräten sowie auf den ersten beiden Führungsebenen planen. Damit seien viele Unternehmen „auf einem guten Weg“, sagt Holger Lösch, Mitglied der BDI-Hauptgeschäftsführung. „Die Politik muss den Unternehmen jetzt die nötige Zeit geben, um die Maßnahmen wirken zu lassen.“

Gender-Stereotype statt Business Case

Die Studien fokussieren – aus unterschiedlichen Gründen – nahezu ausschließlich auf die Frauenanteile auf verschiedenen Führungsebenen, in verschiedenen Bereichen und/oder auf internationale oder zeitliche Vergleiche. Beide Untersuchungen weisen darauf hin, dass die Nachwuchspipeline nicht ausreichend mit entsprechend qualifizierten Frauen gefüllt sei – es fehle an entsprechenden Talenten. Während die Schweizer Studie dies als Alarmsignal sieht und „griffige Maßnahmen“ als nötig ansieht, bedauert der BDI: „noch immer entscheiden sich zu wenige Frauen für industrierelevante Berufswege“ und weist auf „die oft fehlende Möglichkeit, Familie und Beruf besser vereinbaren zu können“ hin. In beiden Fällen wirken die Darstellungen als implizite Erklärungen für die Situation und suggerieren, dass die Frauen selbst – zumindest in der Vergangenheit – einen nicht unwesentlichen Beitrag dazu geleistet hätten. Wichtige machtpolitische Dynamiken und Unternehmenskulturen werden in der Studie von BDI und Kienbaum als Ergebnis von Interviewergebnissen dargestellt.

Dass sich Gender Diversity positiv auf den Geschäftserfolg von Unternehmen auswirken kann, wird in den Studien unterschiedlich deutlich. Die Studie zur Schweiz bildet eine Ergänzung der globalen Untersuchung „The CS Gender 3000: Progress in the Boardroom“, welche das Credit Suisse Research Institute kürzlich veröffentlicht hat. In dieser Studie untersucht das Institut seit 2014 den Frauenanteil in Führungsfunktionen bei 3.000 Unternehmen weltweit. Die neueste Ausgabe des Berichts bestätigt einmal mehr, dass Unternehmen mit ausgewogenen Geschlechterverhältnissen bessere Ergebnisse erzielen und geht unter anderem auch auf die Effekte von (Gender-)Diversität in den Bereichen Venture Capital und Mikrofinanz ein.

Von Erfolgsbeispielen lernen: Business-Ziele herausstellen – Entwicklungen über Kennzahlen messen

Durch die öffentliche Quotendebatte und interne Zielsetzungen herrscht in vielen Unternehmen der Eindruck, höhere Frauenanteile seien das eigentliche Ziel. Mehrere Beratungsprojekte von Ungleich Besser Diversity Consulting zeigten in den letzten Jahren, dass eine Verschiebung der Kernbotschaften und eine nachvollziehbare Ausrichtung auf Geschäftsprioritäten einen spürbaren Effekt haben. Positive Wahrnehmung und praktische Mitwirkung an D&I entstanden, nachdem in Veranstaltungen oder Workshops aufgezeigt wurde, welche Businessziele direkt durch die Wertschöpfung von Diversity & Inclusion unterstützt werden. Die bislang als Frauenquoten wahrgenommenen KPIs wurden dann akzeptiert, wenn sie in ein breiteres Messinstrumentarium eingebettet waren und erkennbar der Erfolgskontrolle dienten – und nicht als Selbstzweck erschienen. „Mit diesem Ansatz lassen sich die Chancen der Quote, die in der BDI-Kienbaum-Studie zitiert werden, nutzen und gleichzeitig die weiterhin vorhandenen – verständlichen – Vorbehalte überwinden“, fasst Michael Stuber von Ungleich Besser zusammen. Seine Modelle und Studien haben in den erwähnten Projekten dazu beitragen, dass in den jeweiligen Unternehmen ein wirtschaftlich fundierter Veränderungsprozess vom Management mitgetragen wurde, der auch dazu führte, dass sich der Frauenteil auf den Führungsebenen erhöhte.

Zu den erwähnten Studien:

Das Credit Suisse Research Institute hat die Entwicklung des Anteils von Frauen in Führungspositionen in 78 Schweizer Unternehmen untersucht und die Schweizer Daten mit europäischen und globalen Zahlen verglichen. Presseinformationen und Links zur Studie:

http://www.credit-suisse.com/ch/de/about-us/media/news/articles/media-releases/2016/10/de/gender-3000.html

An der deutschen Studie von Kienbaum und dem BDI haben 175 Unternehmen teilgenommen. Mit 18 Teilnehmern wurden qualitative Tiefeninterviews geführt. Presseinformation und Links zur Studie:

http://bdi.eu/media/pressecenter/#/artikel/news/immer-mehr-frauen-in-fuehrungspositionen/