Weiterhin häufige Diskriminierung von Türken im Alltag und in Beschäftigung in Deutschland

Fast genau zwei Jahre ist es her, dass eine kleine Gruppe von rechtsnationaler Terroristen aufflog, die über Jahre hinweg scheinbar wahllos acht türkische und einen griechischen Kleinunternehmer ermordet haben soll. Der ‚NSU-Prozess’ bringt extremen Fremdenhass in die Medien und macht es dadurch zugleich schwerer, die vielen negativen Alltagserfahrungen von Türken in Deutschland zu thematisieren; sie verblassen förmlich im Schatten der Gräueltaten. Eine repräsentative Umfrage des Instituts INFO GmbH im Auftrag von Radioeins des Rundfunks Berlin-Brandenburg (rbb) liefert betrübliche Daten aus der Mitte der deutschen Gesellschaft.

Die aktuelle Studie befragte mittels Telefoninterviews über 1.000 türkischstämmige BürgerInnen, von denen nahezu ein Viertel (!) angab, schon in der Öffentlichkeit aufgrund ihres Aussehens beschimpft worden zu sein. Am Arbeitsplatz machte immerhin jedeR Fünfte (!) solche Erfahrungen. Auf dem Arbeitsmarkt wurden ebenso viele Befragte bereits in Bewerbungsverfahren aufgrund angeblich mangelnder Sprachfähigkeiten abgelehnt; fast 20% der Befragten führten eine Bewerbungsablehnung auf ihr Aussehen oder ihren türkischen Namen zurück – weil ihr Kompetenzprofil wohl der ausgeschriebenen Stelle entsprach. Diskriminierungen aufgrund der Religionszugehörigkeit der Befragten kommen in deren Alltag ebenfalls häufig vor.

Beleidigungen und abgelehnte Bewerbungen sind jedoch nur die statistische Spitze der erlebten Diskriminierungen. Jeder zehnte Befragte berichtet wegen seiner oder ihrer „türkischen Abstammung“ bereits körperlich angegriffen worden zu sein. In der Gruppe der Jugendlichen und jungen Erwachsenen (15- bis 29-jährig) hat sogar jeder fünfte Befragte solch negative Erfahrungen machen müssen.

Der Wille zur Integration schützt laut Aussagen der Befragten nicht vor diskriminierenden Handlungen, ganz im Gegenteil. Mit einem höheren Bildungsstand nimmt die Zahl der negativen Erlebnisse zu, gut ein Drittel der gut ausgebildeten MigrantInnen wurde in einem Bewerbungsverfahren aufgrund des türkischen Namens oder Aussehens übergangen. Im darunter liegenden Bildungsniveau berichtet die Studie Werte von knapp über 10%. Ebenfalls negativ wirkt sich für viele Befragte der Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft aus. Die Staatsbürgerer mit türkischem Migrationshintergrund erleben häufiger öffentlich oder am Arbeitsplatz Beschimpfungen, werden öfter körperlich angegriffen und öfter im Bewerbungsprozess abgelehnt. Nur die Ablehnung einer Bewerbung aufgrund der Sprachdefizite kommt in dieser Gruppe seltener vor als bei Befragten ohne Staatsbürgerschaft.

„Deutschland verspielt riesige Ressourcen durch die anhaltende Ausgrenzung von BürgerInnen mit Migrationshintergrund“, kommentiert Diversity-Experte Michael Stuber die Studiensergebnisse, „anscheinend können wir uns dies immer noch leisten; hierzulande wirbt man teuere Fachkräfte aus dem Ausland an und lässt die eigenen in die Türkei oder andere Ländern abwandern“. Politik, Bildung und Medien hätten wesentlich dazu beigetragen, dass Vorurteile tiefer verwurzelt seien als in anderen Ländern.

Immerhin lässt sich aus der Studie eine positive Entwicklung ablesen: Die Häufigkeit der Diskriminierungen ist über die letzten Jahre zurückgegangen; schon im Vergleich zum Jahr 2012 lässt sich ein Besserung erkennen. Der Geschäftsführer des Meinungsforschungsinstituts INFO, Holger Liljeberg, führt dies auch auf den NSU-Skandal zurück, der viele Menschen hinsichtlich der sehr negativen Konsequenzen von Diskriminierung und Rassismus sensibilisiert habe.