Von Krankenbrüdern und Managerinnen – was unsere Sprache über uns erzählt

Neulich beim Einkauf, zehn Leute in der Schlange, mein Blick wandert über das Förderband. An der Kasse lese ich auf einem Schild: „Um Missverständnisse mit der Kassiererin zu vermeiden, legen Sie bitte alle Waren auf das Förderband“. Mein Blick wandert über die Kasse hinweg. Dort sitzt Thorsten, 28 Jahre alt, ausgebildeter Einzelhandelskaufmann. Mann? Stand da nicht was von „Kassiererin“? Was nun? Gilt die Aufforderung nicht, wenn ein „Kassierer“ die Waren entgegen nimmt? Selbstverständlich gilt die Auffor-derung auch für Kassierer, doch offenbar gibt es in Deutschland viel zu wenig „weibliche Kassierer“, als dass man sie auf dem Schild berücksichtigen müsste.
Als „Haarspalterei“ könnte man diese Überlegun-gen auffassen, aber verrät unser alltäglicher Umgang mit der deutschen Sprache nicht erschreckend viel über das, woran wir uns in Deutschland gewöhnt haben? Die Kasse im Supermarkt wird grundsätzlich von Frauen bedient, im Krankenhaus werden wir von der Krankenschwester umsorgt. Haben Sie schon mal einen „Krankenbruder“ gesehen?
Nein, den kennt die deutsche Sprache nicht. Ein „Krankenpfleger“ ist da eher vorstellbar. Die lieben Kleinen freuen sich morgens auf die Kindergärtnerin, einen „Gärtner“ findet man allenfalls mit Spaten und Harke im örtlichen Landschaftsbau-betrieb. Die Frauen haben in der deutschen Sprache bisher zumeist den „sanften“ Part – „soft skills“ fordern Manager von Nachwuchsführungskräften, und trotzdem finden sich in den Führungsriegen deutscher Unternehmen noch immer er-staunlich wenige „weibliche Manager“ – oder doch lieber Managerinnen? Nee, hört sich seltsam an, so hart, so wichtig. Das ist die Aufgabe des Mannes, er ist in der deutschen Sprache für das Grobe zuständig. Es reicht nicht, dass der Krieg, der Streit, der Untergang und fast alle anderen „bösen“ Vokabeln männlich sind. Wenn ein Bankiersehepaar erschossen aufge-funden wird, ist grundsätzlich „der Täter“ auf der Flucht – auch wenn niemand einen Anhaltspunkt hat, ob es sich beim Urheber der Gewalt um einen Mann handelt. „Der Täter oder die Täterin konnte entkommen“ – der Untergang eines jeden Nachrichtensprechers, aber ein Fest für die Gleichstellungsbe-auftragte. Apropos. Der/die „Gleichstellungsbeauftragte wird viel zu oft als „Frauenbeauftragte“ verstanden. Dabei sollte er/sie sich der Berufsbezeichnung folgend um die Gleichstellung von Mann und Frau kümmern. Was nur, wenn sich der Mann vor lauter Frauenpower benachteiligt fühlt? Zur Gleichstellungsbeauftragten wird er wohl nicht gehen.
Wie schön, dass es auch Wörter in der deutschen Sprache gibt, deren Geschlecht auf den ersten Blick nicht ersichtlich ist – sollte man denken. Nutella, Brezel und Snickers, die Vorbilder eines jeden Diversity-Freundes, weil sie sich nicht nach Geschlecht oder gar sexueller Orientierung unterscheiden lassen? Weit gefehlt, denn sie verursachen immer wieder verbale Kleinkriege am Frühstückstisch. Ein bürgerliches Drama in drei Akten entwickelt sich, wenn Schatz nach „der“ Nutella fragt und „das“ Nutella mit einem fiesen Kommentar gereicht bekommt. Ein kleiner Tipp für die nächsten Waffenstillstandsverhandlungen: Sprache darf keine Waffe im Kampf der Ge-schlechter sein. Sie muss verbinden und Unterschiede überwinden – damit Schmerz (maskulin) und Qual (feminin) ausbleiben.

Den Text verfasste Sebastian Wischowski