Von Karneval und anderen, z. B. jüdischen Feiertagen

Es ist kein gesetzlicher, wohl aber ein faktischer Feiertag: der Karneval. Schwer vorstellbar, auf dieses Datum ein bundesweit einheitliches Staatsexamen zu terminieren. Warum dann auf einen hohen jüdischen Feiertag? Wie jüdische Karnevalisten Teil der Antwort werden.

Man muss schon das Bild der Gebetsmühle bemühen, um die fortwährende Anstrengung des Zentralrats der Juden in Deutschland zu beschreiben, mit der Landesbehörden und Hochschulverbände wiederkehrend über jüdische Feiertage informiert werden müssen. Dabei sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, die wenigen hohen Feiertage der wenigen infrage kommenden Religionen angemessen bei Prüfungsterminen zu berücksichtigen. Auf lokaler und Landesebene gelingt es meist, aber auf Bundesebene zeigt sich mitunter eine erstaunliche, als moderne Einfachheit getarnte Ignoranz.

Tanzverbot oder Schreibverbot

Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, kritisiert, dass für das Jahr 2019/20 beide bundesweit einheitlichen Prüfungstermine für das zweite medizinische Staatsexamen auf jüdische Feiertage fallen, darunter auf den höchsten, Jom Kippur (Versöhnungstag) und im Folgesemester auf das Pessach-Fest. Jüdische Prüflinge, die das dann geltende Schreibverbot befolgen, verlieren ein ganzes Studienjahr, wenn sie auf den Folgetermin im Herbst 2020 ausweichen. Von diesem wäre indes nicht sicher, dass er nicht erneut auf einen jüdischen Feiertag fällt…

Zwei intuitive Reaktionen beschreiben die ebenso unglückliche wie unverständliche Dauerproblematik:

  • In Zeiten elektronisch gestützter und vollständiger transparenter Terminplanungen kann es nicht schwierig sein, pro Jahr zwei (!) Daten ohne religiöse Kollisionen zu finden
  • Die Gegner wenden ein, es gäbe „so viele Feiertage verschiedener Religionen“, dass man nicht „auf alle Rücksicht nehmen“ könne.

Das Tanzverbot, das regional an hohen katholischen Feiertagen alle BürgerInnen trifft, illustriert das Maß an Rücksichtnahme, das anscheinend als selbstverständlich angenommen wird.

Verständnis für relevante Normen der Religionen entwickeln

Im aktuellen Fall erläutert Schuster, dass es nicht um alle Feiertage aller Religionen gehen müsse, sondern um die wenigen, für Prüfungstermine relevante Normen – hier das Arbeits- und mithin Schreibverbot. D&I ExpertInnen wissen, dass diese spezifische Betrachtung selbst bei einer großzügigen Einbeziehung vieler religiöser Gruppierungen eine überschaubare Komplexität bedeutet – weil die konkrete Einschränkung ähnlich selten sei, wie z. B. das ‚Tanzverbot‘. Die oben erwähnten Bedenken zeigen indes, wie gering das Verständnis für religiöse Regeln – jenseits christlicher Normen – zu sein scheint.

Ironischerweise zeigt ein Beispiel aus dem Jahre 1938, wie es selbst unter widrigen Bedingungen anders gehen kann. In der Filmdokumentation „Schalom Alaaf“ berichtet David Alster-Yardeni, wie ihm und einem weiteren Schüler die Teilnahme an der Abitursprüfung vom Schulleiter durch eine Vorverlegung ermöglicht wurde: Der gesamte Jahrgang schrieb statt Freitag und Samstag (Schabbat) am Donnerstag und Freitag der fraglichen Woche – anders als zentral aus Berlin angeordnet.

Mehr Sichtbarkeit, auch im Karneval

Aufwändiges Umorganisieren wie 1938 oder 2019 entfällt, wenn die betroffenen Bedürfnisse von Anfang an mitbedacht werden. Dies wiederum fällt leicht, wenn umsichtiges Vorgehen gelernt und geübt ist. Eine deutlich höhere Sichtbarkeit von Vielfalt – in diesem Fall von jüdischem Leben – trägt zu einer wahrgenommenen Normalität bei, die jede Diskussion zugunsten einer selbstverständlichen Integration überflüssig werden lässt.

Dazu passt es, dass der bereits 2017 gegründete Karnevalsverein „Kölsche Kipa Köpp“ erst jetzt Schlagzeilen macht. Er geht auf einen Vorgängerverein aus dem Jahre 1922 zurück und zeigt einmal mehr, dass Juden, die in Köln erstmals im Jahr 321 erwähnt wurden, bis zur Nazizeit in allen gesellschaftlichen Bereichen aktiv waren. Zu dieser Tradition passt es, dass der neue jüdische Karnevalsverein aus liberalen, orthodoxen und säkularen Juden besteht, die ihrerseits teilweise noch in traditionellen oder homosexuellen Karnevalsvereinen aktiv sind.

Die erwähnte Filmdokumentation „Schalom Alaaf“ zeigt derweil, dass sich der Kölner Karneval in den 1930er Jahren umfänglich anti-semitisch positionierte und engagierte.

Umfassende Lösungen sind die besten für alle Beteiligten

Diskussionen darüber, welche Gruppen in welchen Kontexten Berücksichtigung finden sollten sind aus Diversity-Sicht ebenso ermüdend wie chancenreich. Immer wieder lässt sich leicht zeigen, wie groß der Gewinn einer gut durchdachten Lösung für alle Beteiligten ist. In zahllosen Alltagsbereichen zeigt der mittlerweile Universal Design genannte Ansatz, wie Nischenlösungen skaliert werden: Abgesenkte Bordsteine sind nicht nur für Rollstühle wichtig, sondern für Kinderwagen, Rollenkoffer, Fahrräder, Kehrmaschinen, Skateboards und sicherlich noch vieles mehr. Mit dem gleichen Grundgedanken könnten Diskussionen über gemeinsame gesellschaftliche Nenner rasch zu großartigen Ergebnissen führen. Dazu wäre es vor allem hilfreich, von Anbeginn den Gewinn für Alle zu sehen und zu benennen.

Weiterführende Links

Über blinde Flecken in Deutschland 

Neuere Daten zu religiösen Tendenzen in Europa (englisch)

http://www.juedische-allgemeine.de/unsere-woche/die-koelsche-kippa-koepp/

Kurzfassung der Filmdokumentation „Schalom Alaaf: Erinnerungen Kölner Juden“

http://www.filmundkontext.de/filme/schalom-alaaf/kurzfassung.html