Rückblick auf den Weltfrauentag 2018 – Streiks, starke Worte und unnötige Flops

Von Blumen und feminisierten Marken bis zu marschierenden Fäusten und Massenstreiks: Der Weltfrauentag erlebt eine große Bandbreite von Aktionen. Deren Erfolg hing auch davon ab, wie gut sie in ihr jeweiliges Umfeld passten. Manche mehr, manche weniger. Eine Analyse von internationalen Erfolgen und Misserfolgen.

Viele Großunternehmen spüren einen deutlichen Erwartungsdruck und wollen zum Weltfrauentag – ähnlich wie an Halloween oder zum CSD? – besonders kreativ sein. Natürlich wollen sie bei dieser Gelegenheit ihre weiblichen Kollegen (oder das Frauennetzwerk) in den Entwicklungsprozess einbinden. Heraus kommen häufig Kommunikationskampagnen oder Veranstaltungen, und jedes Jahr kommen neue, buntere Formate hinzu.

Leider sehen wir auch jedes Jahr Stirnrunzeln, Augenrollen und verständnislos zuckende Augenbrauen, vor allem dann, wenn eine Aktion so gar nicht in ihr Umfeld passen will.

Wo stehen wir im langfristigen Entwicklungsprozess?

Die Zielsetzung des Weltfrauentages wird durchaus unterschiedlich beschrieben: Viele wollen die politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Beiträge von Frauen feiern während andere die weiterhin bestehenden Ungleichheiten in vielen Bereichen anprangern. Beides kann ein wertvoller Beitrag für Fortschritt (#PressForProgess) sein, insbesondere wenn Umfeld und Zielgruppen berücksichtigt werden. Zwei Beispiele erscheinen in ihrem jeweiligen Kontext durchaus bemerkenswert:

  • Eine Kampagne in der Schweiz, wo Frauen erst in den 1970er Jahren das Wahlrecht erhielten, portraitiert erfolgreiche Frauen aus verschiedenen Jahrzehnten. Da die meisten international erfolgreich waren, entfaltet die Kampagne zusätzlich zur feministischen auch eine deutlich pro-schweizerische Botschaft – und macht die Schweiz zu  einem feministischen Kernland…
  • Derweil fand in Spanien (das Land schneidet bei internationalen Gender Ratings gut ab) ein feministischer Generalstreik statt (auch in den Bereichen Beschäftigung, Pflege und Konsum), mit dem mehr Gleichberechtigung gefordert und auf sexuelle Gewalt auch in der Mitte der Gesellschaft aufmerksam gemacht werden soll. Gut 5 Millionen Menschen sollen teilgenommen haben, auch die Bürgermeisterinnen von Madrid und Barcelona.

Die Beispiele mögen zunächst in ihrem jeweiligen Kontext erstaunen, bei genauerem Hinschauen werden jedoch Zusammenhänge deutlich. So hat die Finanzkrise in Spanien, die mäßigen Aussichten und zaghaften Veränderungen zu Unzufriedenheit vor allem unter jungen Leuten geführt, die zum Erfolg des Streiks beigetragen haben. Ein vertieftes Verständnis für Kontext und Zusammenhänge sowie belastbare Daten bilden generell die Grundlage, den Handlungsbedarf im Rahmen eines D&I Entwicklungsprozesses zu identifizieren.

(Keine) Neue Daten von der Politik und Interessengruppen

Leider können Daten selbst oder gerade in post-faktischen Zeiten problematisch sein und insofern ist es fraglich, ob der Zuwachs an Genderstudien, Statistiken und Rankings dem Thema wirklich helfen. Zu den Schwachpunkten gehören:

  • Persönlich gefärbte, tendenziöse Präsentation von Daten (wenn z. B. ein Ministerium einen Rückgang des Gender Gap als ‚langsam‘ relativiert)
  • Datenrauschen aufgrund einer Vielzahl von Befragungen, deren Ergebnisse mit belastbaren Studien oder Primärdatenanalysen vermischt werden. Einige dieser Umfragen stammen von großen Beratungsfirmen, die diese aus Kommunikationszwecken erstellen (NB: viele dieser Firmen perpetuieren männlich dominierte Kulturen und Netzwerke und könnten auch als Teil des Problems gesehen werden)
  • Anpassung des Bezugsrahmens für Daten, wenn z. B. Interessengruppen im 1. Jahr kritisieren, dass es wenig Vorstände mit Frauen gäbe, im 2. Jahre, dass es wenig Vorstände mit mindestens zwei Frauen gäbe und im 3. Jahr, dass es wenig weibliche Vorstandsvorsitzende gäbe (‚niemals gut genug‘)
  • Anlegen verschiedener Maßstäbe, z. B. die Warnung vor Gruppendenken und Perspektivarmut in rein männlichen Teams oder Gremien, während rein weibliche besetzte Forscher- oder Autorenteams nicht als problematisch angesehen werden (diese Form von Bias ist aktuell im Genderbereich zu beobachten)
Hier gibt es eine ausführliche Darstellung des Themas Umgekehrter Bias

Mit einem Bewusstsein für diese Fallstricke wird die große Datenmenge, die heutzutage verfügbar ist, zu einem wertvollen Vehikel der Standortbestimmung und Ursachenforschung aber auch der realistischen Zielsetzung. So verwundert es nicht, dass in den Tagen vor dem Weltfrauentag 2018 eine Reihe aktueller Berichte von offiziellen Stellen vorgestellt wurde:

  • EU Parlament (Gleichstellung im digitalen Bereich und in den Medien)
  • EuroStat (rückläufiger Paygap, ‚langsam‘)
  • EIGE (Frauen und Männer im IKT Bereich, ‚nur‘ 17% Frauen unter den IKT Spezialisten ohne Angabe einer Referenzgröße)
  • OECD (Frauen in der Politik und Paygap aus dem Jahre 2017, bezahlte und unbezahlte Arbeit sowie Zeitverwendung nach Geschlecht 2018)

Diese und viele weitere Berichte zeigen einen starken und mitunter ausschließlichen Fokus auf den Frauenanteil im jeweiligen Feld. Ein Ansatz, der als direkte Folge der politischen Quotendiskussion gesehen werden kann. Wissenschaftliche Studien zeigen indes, dass für eine wertschöpfende Betrachtung von Vielfalt, wie sie im wirtschaftlichen Kontext opportun ist, weitere Paradigmen mit Kennzahlen abgedeckt werden müssen (v.a. Wertschätzung und Einbeziehung).

Die Ideologien der Frauenquote: Zahlen als Selbstkritik, Schelte oder Steuerinstrument?

Eine derart ganzheitliche Datenbasis bildet eine belastbare Grundlage für grundlegende – und nachhaltige – Veränderungen (im Gegensatz zum singulären Erreichen von Zielwerten). Der Weltfrauentag könnte und sollte Raum für solch umfassende Ansätze bieten.

Was Fortschritt förderte am Weltfrauentag

Statt Unterrepräsentation zu bejammern adressierten einige bemerkenswerte WFT2018 Kampagnen vorhandene Gender-Biases und deckten damit Mechanismen auf, die Ungleichheiten fördern.

Markantes Beispiel solcher Mechansimen: Gondoliere

Aus D&I Sicht sind vor allem jene Botschaften veränderungsfördernd, die Stärken betonen oder offensichtlich ungleiche Maßstäbe benennen. Dieses Jahr fielen Zitate und persönliche Statements von weiblichen und männlichen Befürwortern auf:

  • „Bei Feminismus geht es nicht darum Frauen stärker zu machen. Frauen sind bereits stark. Es geht darum, die Art und Weise zu verändern, wie die Welt diese Stärke wahrnimmt.“ G. D. Andersen
  • Selfie-Karten, die von Männern und Frauen genutzt wurden, um ihren persönlichen Einsatz für mehr Fortschritt zu beschreiben (Stereotype anprangern, Ausgewogenheit der Geschlechter beachten)
  • Traditionelle Vorannahmen umkehren: „Also, Ihr Frauen in Führung, nehmt Eure dominante, zickige, schwierige, durchsetzungsstarke und aggressive Seiten an: Der Sprachgebrauch muss sich anpassen, nicht Ihr.“ L. Elting in Forbes
Studie zur kritischen Masse: ab 22 % verringern sich Stereotype

Vorannahmen umzukehren stellt ein effektives D&I Instrument dar und kann eingesetzt werden, um Männer aufzurütteln: Eine österreichische Drogeriekette wollte Männer mit einem 25% Rabatt auf Reinigungsmittel (und speziellen Anzeigen) zu mehr Haushaltsarbeit bewegen. Trotz der auf Männer ausgerichteten Botschaft missfiel die Kampagne aufgrund ihres Bezuges zum Weltfrauentag. Dabei hätten andere Veranstaltungen deutlicher und schärfer kritisiert werden können.

Ein ähnliches Beispiel: „Spitzen-Väter“ polarisieren

Die großen Flops zum Weltfrauentags – und Grenzfälle 

Im Wettstreit um Kreativität und öffentliche Anerkennung fühlten sich mehr und mehr Marken dazu berufen, sich zu Gender zu (re)positionieren – wenn auch nur für eine Woche oder einen Tag. Kein leichtes Unterfangen, denn wenn eine Marke männlich konnotiert ist, kann eine Gender-Aktion unglaubwürdig bleiben. Wenn dagegen die Marke bereits offen besetzt und vielfältig positioniert ist, mag ein Gender-Move zu offensichtlich oder gar überflüssig wirken. Drei Beispiele aus der Marken­kommunikation gingen jedenfalls nach hinten los:

  • Ein kalifornischer McDonalds Standort stellte das Markenzeichen (die goldenen Bögen, die ein M bilden) auf den Kopf, so das ein W entstand (für women – Frauen). Es blieb unklar, um die Aktion nur ein Scherz sein sollte – die Reaktionen waren jedenfalls durchweg irritiert.
  • Die Whiskey-Marke Johnnie Walker stellte eine limitierte „Jane Walker“ Sonderedition vor, auf der sogar der huttragende Logomann durch eine weibliche Silhouette ersetzt wurde. Die temporäre Aktion der traditionellen Marke und der Versuch, flankierend Diversity-Erfolge zu kommunizieren trugen dazu bei, dass die Aktion insgesamt negativ wahrgenommen wurde.
  • Die deutsche Drogeriekette Rossmann ging sogar soweit, ihren Firmennamen zum Weltfrauentag in RossFRAU zu ändern – als Höhepunkt einer klischeebehafteten einwöchigen Kampagne (Beauty, Haushalt…) unter dem Slogan „Lass die Frau raus“. Experten waren nicht überrascht, dass die Initiative samt und sonders zerrissen wurde. Zuletzt hatte das Unternehmen die zur Kampagne gehörige Pressemitteilung offline genommen.
Aktuelle Gender Marketing Tops und Flops

Aus Sicht der D&I Community erscheint es erstaunlich, dass derart absehbare Fehlschläge immer noch vorkommen – schließlich blicken wir auf Jahrzehnte von Diversity-Aufklärung, Information und Qualifizierung zurück und grundlegendes Gender-Marketing-Wissen ist für Großunternehmen und ihre Agenturen jederzeit verfügbar. Andererseits kommt es auch innerhalb der D&I Echokammern immer wieder vor, dass Aktionen zum Weltfrauentag ein wenig aus der Zeit oder aus dem Kontext zu fallen scheinen.

Von Frauenförderung zu ausgeglichenem Geschlechter-Engagement

Während sich allmählich die Erkenntnis durchsetzt, dass spezifische Förderprogramme ausschließlich für Frauen nicht mehr zeitgemäß (und nicht mehr vertretbar) sind, bestehen rein weibliche Formate zum Weltfrauentag fort. Der Trend geht dabei zum Quotenmann, der neuerdings am liebsten selbst Feminist sein darf und daher Ansichten und Annahmen bestätigt – nicht aber Kontrapunkte setzt. In diesen Fällen mag das Ausmaß an Inspiration überschaubar sein, es entsteht zumindest jedoch kein Schaden für den Weltfrauentag.

Zur Erinnerung: Professionelle Evaluation zeigt Mehrwert von Gender Diversity Netzwerk

Das darf mit Sicherheit für ein Fallbeispiel angenommen werden, bei dem drei männliche Führungskräfte eines Unternehmens ihre weiblichen Mitarbeiter am Eingang mit jeweils einer Blume begrüßten und zum Weltfrauentag beglückwünschten. Diese Form der Galanterie gilt inzwischen selbst zum Muttertag als überholt und unangemessen – wie kann es sein, dass die abwertende Konnotation gerade am Weltfrauentag nicht deutlich wird?

Es ist Zeit: AktivistInnen in der Stadt und auf dem Land verändern die Lebenswelten von Frauen

Der Querschnitt zum Weltfrauentag 2018 scheint eines deutlich zu zeigen: Es gibt noch viel zu tun und es bedarf hierzu noch viel Einflussnahme, Aufklärung und schließlich auch eine Veränderung der Wahrnehmung von Frauen und der Sichtweisen des Gender-Themas.

Hier ein Beitrag, der 7 Schritte zur Modernisierung der Gender-Arbeit beschreibt.

Die Vereinten Nationen hatten bereits im Vorfeld des Weltfrauentages 2018 diese breite Perspektive eingenommen als sie das diesjährige Motto festgelegt hatten: „Es ist Zeit: AktivistInnen in der Stadt und auf dem Land verändern die Lebenswelten von Frauen“. Anderseits scheint der Handlungsbedarf selbst in Spanien deutlich zu sein – obwohl das Land gemessen an globalen Standards gut abschneidet. Bei einer Umfrage gaben 82% der Befragten an, dass sie die Gründe für den landesweiten Gleichstellungsstreik für nachvollziehbar hielten.

Für kommende Weltfrauentage mag ein stärkeres Bewusstsein angebracht sein für die unerträgliche Situation von Frauen in vielen Ländern dieser Welt, wo sie nicht streiken könnten oder dürften und wo niemand über eine Umfrage zu Gleichstellung auch nur nachdächte.