Neue Beispiele für durchlässige Geschlechterrollen in der TV Werbung

Die Anziehungskräfte zwischen Mann und Frau bestimmen weite Teile des Lebens – und das Leben selbst. Die Werbung in Deutschland setzt intensiv auf diese Attraktion, vor allem zwischen ‚typischen‘ Männern und Frauen. Die große Bandbreite, die das Leben jenseits der starren Genderrollen bereithält, zeigen gleich vier aktuelle TV Spots, u.a. von Vodafone und Allianz.

Kerl mit Perücke bei Vodafone

Werbung buhlt um Aufmerksamkeit und sie möchte sich in unserer Erinnerung festsetzen – sie muss es sogar. Dafür ist den Kreativen nahezu jedes Mittel recht. Identifikation und Begehrlichkeit gehören zu den einfachen Mechanismen, die die Werber einsetzen. Im hart umkämpften Markt der Telekommunikation ist die emotionale Aufladung der Marke von überragender Bedeutung. Vodafone setzt hierbei derzeit auf die grenzenlosen Wünsche der jüngeren Generationen. Mit dem Claim „Alles auf einmal können“ verbindet der britische Riese einen wichtigen Teil des Lebensgefühls seiner Zielgruppe mit den Vorzügen seiner Angebote. Die dafür verwendeten Bilder zeigen die ausgeprägte Individualität, die Vodafone bei seinen Kunden vermutet. Dazu gehört aktuell ein Mann mit weiblich anmutender Aufmachung – und mit dem obligatorischen Bart. Bemerkenswert hierbei ist, dass dieser Typ nicht als Sensation oder Exot eingesetzt wird, sondern als selbstverständlicher Teil der Vielfalt erscheint.

Heteros & Homos gemeinsam bei MeinChat.de

Den gleichen Grundgedanken nutzt MeinChat.de. Das Kontaktportal widersteht der Versuchung, sich auf getrennte Zielgruppen zu fokussieren. Mit einem im wahrsten Sinne lebendigen Spot zeigt der Anbieter wie ähnlich das Ergebnis seiner Chat-Dienstleistung für heterosexuelle oder homosexuelle NutzerInnen ausfallen kann: Glückliche Paare, die gemeinsam in ihrer Wohnung herum toben. Ob Kissenschlacht oder Wasserpistole – der Spaß ist der gleiche auf beiden Seiten des Ufers. Auch in diesem Spot überzeugt die Normalität und Selbstverständlichkeit, mit der die Werber die Vielfalt sexueller Orientierungen zeigen.

Haariges Frühstück im Bett bei Vitafy

Den Überraschungs- und gleichsam Entlarvungseffekt setzt Vifafy bei seinem aktuellen Werbespot „Frühstück“ ein. Wir sehen (von hinten) eine große, schlanke, langhaarige, blonde Person ein Frühstücksmüsli vorbereiten. Vom Küchengeräusch geweckt räkelt sich ein Mann im Bett. Das Müsli wird anmutig in Richtung Bett getragen. Wer würde nicht zuerst an eine hübsche Frau denken, die dabei ist, ihren Schatz zu verwöhnen? Tatsächlich sehen wir eine klassische Bettfütterungsszene mit intimer Berührung – an den Lippen natürlich. Mehrere haarige Unterarme stiften erste Verwirrung. Dann zeigt die Kamera das fürsorglichen Langschläfers höchst selbst, mit blonder Perücke und im Negligé. Dem Spot gelingt dabei die schwierige Gratwanderung zwischen hohem Überraschungsgrad und exotischem Sensationalismus. Denn allzu leicht wird die Aufmerksamkeit mit übertriebenen Details erkauft, die fragwürdige bis abstoßende Reaktionen hervorrufen können. Vitafy bewegt sich in der goldenen Mitte und kombiniert einen starken Aha-Moment mit ebenso starker Sympathie für einen Macho mit multipler Gender-Expression.

Recyceltes lesbisches Testimonial bei der Allianz

Ebenfalls mit Aha-Effekt arbeitete die Allianz, die 2014 einen Werbespot mit Steffi Jones, einer früheren Fußballnationalspielerin, zeigte. Die damalige DFB Funktionärin berichtet darin, dass sie nicht auf einen Traumprinz gewartet hatte, sondern sich eine Prinzessin geschnappt habe. Die Normalität des Statements entsteht durch seine Beifläufigkeit im Spot. Während die Botschaft nichts an Klarheit vermissen lässt, drängt sie sich auch nicht in den Vordergrund. Die Allianz zeigt seit 2015 eine Reihe früherer, teilweise nostalgisch anmutender, Werbespots. In diesem Kontext trägt die – ebenfalls recycelte – lesbische Protagonistin zu einer deutlichen Modernisierung bei.

Werbung als Identifikationsraum oder Wunschwelt?  

Die ungewöhnliche, aktuelle Konzentration von TV-Spots mit vielfältigen sexuellen Orientierungen und Gender-Expressions wirft die Frage auf, weshalb diese Aspekte sonst kaum in der Werbung vorkommen? Eine der ersten Untersuchungen, die Ungleich Besser Ende der 1990er Jahre begleitete fand heraus, dass es häufig fehlende Informationen sind, die Marketern den Zugang zu vermeintlich schwierigen Segmenten oder Themen erschweren. Da die Wissenslücken längst geschlossen sind, werden heute Argumente angeführt, die wie Ausreden klingen: Unsere Kunden möchten „das“ nicht sehen – sie möchten eine wunderbare Wunschwelt gezeigt bekommen, in der das jeweilige Produkte prunkvoll wirkt. Warum sollten Schwule und Lesben nicht in den Wunschwelten der KonsumentInnen vorkommen? So wie sie in allen Teilen der Gesellschaft vorkommen? Wie so häufig sind es persönliche Präferenzen – und Biases – die Entscheider daran hindern, inclusive zu handeln. Das ist nicht nur schade, sondern auch ökonomisch suboptimal. Denn wie effektiv könnte Werbung sein, wenn sie nicht nur den engen 20% Mainstream-Anteil des Marktes abdeckte, sondern Männer und Frauen verschiedener Herkunft und Altersgruppen in verschiedenen Rollen und Lebenssituationen zeigte? Noch können es sich die großen Marken leisten, nicht annähernd so bunt wie der Markt zu sein. Die demographischen und gesellschaftlichen Entwicklungen zeigen indes deutlich in Richtung Vielfalt und Einbeziehung. Das gilt auch für die Werbung.

Vodafone

https://www.youtube.com/watch?v=JzqUWBDv1YU

Vitafy

https://www.youtube.com/watch?v=adRmgLar_wI

Allianz

https://www.youtube.com/watch?v=VBJ5CNqqF9o&feature=youtu.be