Mehrwerte und Fortschritte mit Diversity? Komplexität gestalten – und Nerven bewahren

Es könnte so schön und einfach sein: Vielfalt feiern, bunte Ballons und lachende Leute. Alles gut. Wer Diversity einseitig bearbeitet und nur als Business Case darstellt betreibt nicht nur Etikettenschwindel – er (oder sie) wird auch rasch an die Grenzen von Glaubwürdigkeit und messbarer Erfolgserwartungen stoßen. Das zeigen sowohl die langjährige Entwicklung wie auch die Erfahrungen der jüngeren Vergangenheit. Zwei wunde Punkte zeigen sich vielerorts: Ein Fokus auf Einzelthemen und eine eher oberflächliche Veränderungsbereitschaft.

Wo Diversity drauf steht, muss auch Vielfalt drin sein

Diversity entstand als Plattformkonzept, das verschiedene Vielfaltsthemen gemeinsam – und synergetisch – bearbeiten sollte. Die Frage, welche Facetten dabei berücksichtigt werden, führte zu mitunter harschen Auseinandersetzungen.

  • Konservative Beteiligte wollten das Thema ‚sexuelle Orientierung‘ ausklammern und warfen der schwulesbischen Gemeinschaft vor, Diversity politisch zu ‚missbrauchen‘.
  • Die bereits etablierten Frauengruppen sahen ihre privilegierte politische Position durch den Plattformansatz bedroht.
  • Die Kulturalisten empfahlen sich als übergreifendes Konzept, das alle Themen umfasst; schließlich seien alle Unterschiede (z. B. zwischen Generationen, Geschlechtern oder Gemütern) mit den Methoden des inter-kulturellen Managements bearbeitbar.

Der Rahmen der naturgegebenen bzw. nicht veränderbaren sechs „Kerndimensionen“ war eine schwierige Geburt – und er stellte sich als nur begrenzt praxistauglich heraus. Denn aus Unternehmenssicht spielen arbeitsbezogene (erwerbbare!) Unterschiede wie Mehrsprachigkeit, Motivation, Mobilität, Teamfähigkeit oder Fachwissen die erste Geige. Viele Organisationen gehen daher bei den Kerndimensionen selektiv vor und priorisieren meist die sogenannten 3 Gs – Geschlecht, Generationen, Geographie (als Sammelkonzept für Herkunft, Ethnie, Internationalität). Es kann nicht verwundern, dass die dabei verschmähten Minderheiten zynisch reagieren und die Glaubwürdigkeit eines begrenzten Vielfaltsansatzes in Frage ziehen.

Eine unveränderte Diskriminierungshierarchie

In vielen Strategien hat es sich bewährt, das jeweils randständigste Thema als Lackmustest für Reife, Qualität oder Ganzheitlichkeit eines Konzeptes heranzuziehen. Im Kontext Diversity zeigen Analysen seit vielen Jahren, dass die Häufigkeit der Berücksichtigung einer Vielfaltsfacette mit der Größe der benachteiligten Gruppe (relativ zur dominanten Gruppe) korreliert. Daher wird Gender (circa gleichgroße Gruppe von Männern und Frauen) nie in Frage gestellt, Alter und Kultur gut akzeptiert (die Minderheiten sind größer als 20 %), während die Themen Religion und vor allem sexuelle Orientierung – über 90 % Heterosexuelle vs. weniger als 10 % LGBTQI – als letzte Facette eingeschlossen werden – wenn überhaupt. Sowohl die Praxis wie auch die Politik tragen der Dynamik mittlerweile Rechnung.

Das Konzept Diversity ist weder teilbar noch delegierbar

So gehört es heute zum guten Ton, einen umfassenden Diversity-Ansatz zu propagieren. Tatsächlich zeigt die aktuellste Analyse von Ungleich Besser Diversity Consulting, dass inzwischen die Hälfte der 50 größten Konzerne Europas fünf oder mehr Diversity-Dimensionen in ihren Geschäftsberichten explizit erwähnen (zwei Jahre zuvor war es noch ein Viertel, sechs Jahre zuvor 18 %). Der Blick auf die Umsetzungsstrategien zeigt allerdings, dass sich hinter der proklamierten Ganzheitlichkeit eine große Bandbreite verbirgt: Aufwändige Programme für die 3 Gs und stark fokussierte Maßnahmen für Religion, Behinderung und LGBTQI. Viele Aktivitäten orientieren sich stark an den Besonderheiten der jeweiligen Gruppen und setzen auf die Beteiligung derselben. Aufgrund des entstehenden Nischencharakters können viele Programme jedoch keinen spürbaren Einfluss auf die Hauptkultur des Unternehmens oder gar auf die Führungskultur entfalten. Sie entfalten zwei unerwünschte Nebeneffekte:

  • Wahrnehmung: Die Aufteilung von Vielfalt in separate Themenbereiche (Gender, Religion, etc.) stärkt latente Stereotype und erhöht die wahrgenommene Komplexität auf Seiten der Mainstream-Zielgruppen („was sollen wir denn noch alles beachten?“)
  • Bringschuld: Die Delegation von Verantwortung – z. B. auf schwulesbische Netzwerke – beinhaltet nicht die nötigen Einflussmöglichkeiten (denn die Gruppen müssen Vorschläge meist einbringen und auf Zustimmung und Mitwirkung hoffen)

Blinde Flecken: Diversity muss unangenehme Fragen stellen

Diese und weitere – mehr oder weniger subtile – Schieflagen sind auch nach 20 Jahren Diversity-Praxis weiterhin verbreitet. Unter anderem, weil der Kontext für viele Maßnahmen ein anderer ist als in den Anfangsjahren. Über zwei Jahrzehnte hat sich eine große Anzahl von Umsetzungsinstrumenten entwickelt, die durch einen regen Austausch einen Mainstream erschuf. Diese zeigen gewisse Ähnlichkeiten und gelten, qua Existenz, als Standard. Andererseits führte der öffentliche, vor allem politische, Erwartungsdruck zu einem Augenmerk auf publizitätsträchtige Maßnahmen – vor allem zu den jährlichen Thementagen (Weltfrauentag, CSD, Tag gegen Rassismus, Diversity-Tag etc.).

Die verbreiteten Diversity-Programme und öffentlichkeitswirksamen Aktionen erfüllen wichtige Funktionen. Sie etablieren ein Grundrauschen und sorgen für Aufmerksamkeit für das Thema. Sie erzielen jedoch im seltensten Fall eine Veränderungsenergie. Im ungünstigsten Fall führen sie zur Wahrnehmung von Routine oder gar zu Ermüdungserscheinungen. Um jedoch Fortschritte – auch bezüglich proklamierter Ziele – und messbare Mehrwerte zu erzielen, braucht es deutliche Veränderungsenergie; sonst bleibt das meiste wie es bisher war. Sie entsteht nur, wenn Systeme durch geeignete – und durchaus kritische oder unbequeme – Fragen und andere Impulse in Schwingung versetzt werden. Hierfür gibt es zahlreiche etablierte Methoden sowie innovative Ansätze. Für alle gilt: Wer vor allem Maßnahmen umsetzt, die Viele gut und schön finden, wird selten echte Wirkung erzielen. Wer nur einzelne wichtige Aspekte fokussiert, wird Impulse setzen, nicht jedoch verhindern, dass sich das System in die Ausgangslage zurückbewegt.

Wer Diversity ernst meint, soll sich auch an Erfolgen messen lassen

Immer häufiger stellen Unternehmen anhand ihrer internen Analysen fest, dass sie zwar Fortschritte machen, die Geschwindigkeit jedoch hinter den Erwartungen zurückbleibt. Auch die Unterstützung für das Thema ist häufig geringer, als die umfassenden Anstrengungen hoffen ließen. Schließlich vermissen viele Manager die konkreten Mehrwerte als Folge positiv gestalteter Vielfalt. Eine fundierte Ursachenforschung zeigt in vielen Fällen:

  • Die Erwartungen an die quantitativen Veränderungen sind häufig überambitioniert bezüglich der Wachstumsgeschwindigkeit und untertrieben bezüglich des Zielniveaus (z. B. gemessen an der erreichbaren Grundgesamtheit).
  • Die Erfolgsmessung verwendet zu wenige Indikatoren, um die Ganzheitlichkeit des Ansatzes abzubilden; vor allem wertebasierte Indikatoren der Unternehmenskultur und verhaltensbasierte Indikatoren zur Einbeziehung sind selten.
  • Durch das Diversity Management erzielte Mehrwerte werden selten erfasst oder kommuniziert; das spiegelt mitunter die geringe Bedeutung der Maßnahmen wider, denn bei professionellen Businessaktionen sind ROI-Auswertungen durchaus üblich.

An diesen Aspekten zeigt sich eine aktuelle Krux des Diversity Management: es ist einerseits gut etabliert und an vielen Stellen verankert. Dies führt jedoch mitunter zu (zu viel) Routine und einer Unsichtbarkeit – gerade, wenn es die Aufgabe ‚Aller‘ ist, das Thema bei ‚Allem‘ zu berücksichtigen.

Für eine erfolgreiche Weiterentwicklung braucht Diversity (wieder) einen klareren Change-Auftrag und damit einhergehend nachvollziehbare Verantwortlichkeiten mit zugehörigen Erfolgsmessungen. Diese müssen die verschiedenen Themen und Ebenen des Diversity Management abdecken und deutlicher als bisher auf die Spezifika der betreffenden Organisation (oder Einheit) abgestimmt werden. So können Relevanz und Glaubwürdigkeit zu deutlicher Veränderungsenergie kombiniert werden und sowohl Mehrwerte als auch Fortschritte sind in greifbarer Nähe.

Quellen:

Stuber, Michael (2014): Diversity & Inclusion – Das Potenzial-Prinzip. Aachen: Shaker-Verlag

Aktuelle Beiträge und Fallstudien zu Ganzheitlichkeit, Change-Fokus und Erfolgsmessung: https://de.diversitymine.eu

 

Erstveröffentlichung in BBE-Newsletter Nr. 10/2017 vom 18. Mai 2017

http://www.b-b-e.de/newsletter/newsletter-nr-10-vom-1852017/

Beitrag als PDF: http://www.b-b-e.de/fileadmin/inhalte/aktuelles/2017/05/newsletter-10-stuber.pdf