Leitfaden für Arbeitgeber: So funktioniert die anonymisierte Bewerbung

Obwohl in anderen Ländern seit Jahrzehnten selbstverständliche Praxis, erscheinen rein auf das Qualifikationsprofil reduzierte Bewerbungsverfahren deutschen Personalchefs unmöglich. Auch der erfolgreiche Test mit anonymisierten Bewerbungsunterlagen konnte daran nichts ändern, wenngleich er zeigte, dass ein dezenter Grauschleier über bestimmte Identitätselemente nicht nur den BewerberInnen helfen kann, sondern auch den Unternehmen. Denn Stereotype über alleinerziehende Mütter, ältere Menschen oder BewerberInnen mit Migrationshintergrund erhalten mit dieser Methode zumindest im ersten Auswahlschritt keine Chance.

Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat auf Grundlage der Erfahrungen aus dem Pilotprojekt nun eine Broschüre vorgestellt, die Unternehmen dabei hilft, anonymisierte Bewerbungsverfahren ohne großen Aufwand einzurichten. Zum Einstieg in den 35 Seiten starken Leitfaden bekräftigt Christine Lüders, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, dass anonyme Bewerbungen nicht nur eine vielversprechende Möglichkeit seien, Chancengleichheit für alle Bewerbenden zu sichern, sondern auch Vielfalt in den Belegschaften zu fördern.

Die ExpertInnen der AGG-Behörde nennen sechs Schritte auf dem Weg zum anonymisierten Bewerbungsverfahren. Nach einer Analyse der bisherigen Rekrutierungspraxis sollten interessierte Unternehmen eine geeignete Methode der Anonymisierung auswählen und sich für Auswahlkriterien entscheiden. Danach muss der Umfang der Anonymisierung festgelegt werden. Schließlich werden die Personalverantwortlichen eingewiesen und die Bewerbenden informiert. „Diese Vorgehensweise sollte für professionelle Rekrutierungsverfahren ohnehin weitgehend selbstverständlich sein,“ kommentiert Diversity-Experte Michael Stuber, selbst ehemaliger Personalberater, die Schritte. In seinem Buch ‚Das AGG in der betrieblichen Praxis’ widmet er mehrere Kapitel diesen Schritten der Personalsuche und –auswahl.

Insbesondere bei der Darstellung möglicher Anonymisierungsmethoden dürften Arbeitgeber einige Denkanstöße für ihre eigene Rekrutierungsstrategie finden: Bei standardisierten Bewerbungsformularen wird von vornherein auf sensible Daten verzichtet. In onlinebasierten Bewerbungsportalen könnten die persönlichen Daten zwar erfasst, für die Personalentscheider aber blindgeschaltet werden. Eine andere Variante sieht vor, ausgewählte Daten aus den persönlichen Bewerbungsunterlagen in eine Tabelle zu übertragen, die für den weiteren Auswahlprozess verwendet wird. Auch eine Schwärzung aller personenbezogenen Merkmale in den Bewerbungsunterlagen wird für möglich gehalten.

Die Einführung eines anonymisierten Bewerbungsverfahrens stellt für die normative deutsche Kultur zweifelsohne eine kleine Revolution dar. Neben der Umstellung der Prozesse müssen nämlich lieb gewonnene Strategien überdacht werden; dazu gehören Checks der Hobbys oder der familiären Situation, aus denen allzu häufig scheinbar relevante Schlüsse gezogen wurden und werden. Wichtiger aber ist der entstehende strikte Zwang, sich rein auf die Kenntnisse und Kompetenzen zu besinnen, die für eine/n Stelleninhaber/in erforderlich sind. Ganz sicher fallen laut Antidiskriminierungsstelle persönlichen Daten wie Name, Kontaktdaten, Geburtsdatum, Geburtsort, Nationalität, Familienstand und das Bewerbungsfoto weg.

Diversity-Experten sehen hierin ein sehr hilfreiches Werkzeug und wissen, dass individuelle Soft-Skills dabei weiterhin zusätzlich zur Qualifikation Berücksichtigung finden. „In Deutschland werden die Interviewer im Einzelgespräch und die Beobachter im Assessment Center zahllose Aha-Erlebnisse haben, wenn ihnen künftig eine deutlich größere Vielfalt von Bewerbern gegenübertritt“, schrieb Michael Stuber in einem seiner Fachbeiträge zum Thema. Nach einer Gewöhnungsphase würden Personalchefs die Vorteile erkennen und nie wieder zulassen, dass Störfaktoren wie Vorurteile oder persönliche Präferenzen die Qualität ihres Auswahlprozesses mindern. Auch Christine Lüders, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, hofft, dass benachteiligte Gruppen wie Menschen mit Migrationshintergrund, Ältere und Frauen mit Kleinkindern es tatsächlich öfter in Vorstellungsgespräche und in Jobs schaffen als bisher.