Die Europäische Union unternimmt wichtige Schritte, um gleich hohe Standards für die Integration von Beruf und Privatleben für Männer und Frauen zu schaffen. Empirische Forschung und Best Practice bestätigen die Notwendigkeit, von einem Dual-Breadwinner zu einem Dual-Earner-Carer-Modell zu wechseln.
In einer schwarz-weißen Welt wird EU-weite Gesetzgebung oft als restriktive Regulierung dämonisiert. Die aktuelle Initiative der Europäischen Kommission macht jedoch sehr deutlich, dass sie auch darauf abzielt, bessere Standards für Männer und Frauen zu schaffen. Ein neuer EU-weiter Rahmen für Vaterschaftsurlaub, Elternurlaub, Pflegeurlaub und flexible Arbeitsbedingungen trägt sowohl empirischen Erkenntnissen als auch den Bedürfnissen des Arbeitsplatzes der Zukunft Rechnung. Die Direktive wird Dual-Earner-Carer-Modelle anstelle von Dual-Breadwinners fördern.
Empirische Unterstützung: Das Dual-Breadwinner-Modell besteht den Test des Lebens nicht
Aktuelle Untersuchungen bestätigen die Richtung der Europäischen Kommission. Nicht nur der globale Trend zu kürzeren Arbeitszeiten wurde in einigen Ländern gestoppt und sogar umgekehrt, auch einige spezifische geschlechtsspezifische Ungleichgewichte bestehen fort: Auf der einen Seite üben Männer doppelt so häufig wie Frauen überhöhte Arbeitszeiten aus, auf der anderen Seite verbringen Frauen mehr als die doppelte Zeit der Männer mit Betreuungsaufgaben. Darüber hinaus können Mütter in vielen europäischen Ländern erhebliche Nachteile bei ihrer unmittelbaren und langfristigen Gehaltsentwicklung im Vergleich zu Frauen ohne Kinder erwarten. In Deutschland sollen Mütter mit zwei Kindern bis zu 42 Prozent weniger verdient haben als kinderlose Frauen im Alter von 45 Jahren.
Internationale Praxis: Die mit Mutterschaft verbundenen „Nachteile“ sind vermeidbar
Der Motherhood Wage Penalty ist ein gut dokumentiertes soziales Phänomen, das oft auf einen Verlust von Humankapital während kinderbedingter Berufspausen, Stigmatisierung und den Wechsel in schlechter bezahlte Teilzeitarbeit zurückzuführen ist. Internationale Vergleiche zeigen jedoch, dass dies nicht unbedingt der Fall sein muss. Die nordischen Länder zeigen meist wenig bis gar keine negativen Auswirkungen der Mutterschaft auf die Lohnentwicklung, während in den USA, Kanada und Australien die negativen Auswirkungen geringer sind als in vielen europäischen Ländern. Die sehr unterschiedlichen Sozialstaatsmodelle erklären einige der Unterschiede. Eine aktuelle Studie der Hans-Böckler-Stiftung beleuchtet die Rolle von Gleitzeitmodellen und Elternurlaub bei der Lohnentwicklung in Deutschland und gibt Hinweise darauf, warum Deutschland im Vergleich hinterherhinkt.
Verstärktes Stigma: Lange Abwesenheit kehrt positiven Effekt flexibler Arbeitszeitmodelle um
Längsschnittdaten des Sozioökonomischen Panels (SOEP) zeigen, dass Gleitzeit einen positiven Effekt haben kann, jedoch die negativen Auswirkungen des verlängerten Elternurlaubs nicht ausgleichen kann. Mütter, die nach bis zu 12 Monaten zurückkehren, verdienen 6% weniger. Mütter, die mehr als ein Jahr abwesend sind, verdienen 10% weniger pro Stunde. Der Wechsel von einem festen zu einem Gleitzeitmodell ist generell mit einer Erhöhung der Löhne um 4% verbunden. Interessanterweise kehrt sich das Ergebnis jedoch um, wenn beides kombiniert wird: Frauen mit längerem Elternurlaub (>12 Monate), die auf Gleitzeit umsteigen, erleiden einen noch größeren Verlust (16%) als solche, die zu festen Bedingungen bleiben. Forscher erklären dies durch eine Verstärkung des Stigmas der Mutterschaft.
Der Weg vorwärts
Die deutschen Forscher kommen zu ähnlichen Schlußfolgerungen wie die Europäische Kommission, die vorschlägt, die bestehende europäische Richtlinie (2010) durch die folgenden Kernelemente aufzuheben und zu ersetzen:
- Vaterschaftsurlaub: Erlaubt es den Vätern, mindestens 10 Arbeitstage Vaterschaftsurlaub um den Zeitpunkt der Geburt des Kindes herum zu nehmen. Diese werden mindestens in Höhe des Krankengeldes kompensiert. (Derzeit: Keine Mindeststandards)
- Elternzeit: Gewährt jedem Elternteil mindestens 4 Monate Elternurlaub, von denen 2 Monate nicht zwischen den Eltern übertragbar sind. Den Eltern ist es gestattet, den Urlaub in flexibler Form (Vollzeit, Teilzeit oder stückweise) zu beantragen. (Derzeit: Mindestens 4 Monate pro Elternteil, davon 1 Monat nicht übertragbar zwischen den Eltern)
- Betreuungsurlaub: Gibt allen Arbeitnehmern das Recht auf 5 Arbeitstage Betreuungsurlaub pro Jahr. (Derzeit: Keine Mindeststandards, außer bei “höherer Gewalt”)
- Flexible Arbeitsregelungen: Gewährleistet allen berufstätigen Eltern und Betreuern mit Kindern (bis zu einem Alter von 8 Jahren) das Recht, entweder Kurzarbeit, flexible Arbeitszeiten oder Flexibilität am Arbeitsplatz zu verlangen. (Derzeit: Recht auf Beantragung von Kurzarbeit und flexibler Arbeitszeit bei Rückkehr sowie Recht auf Beantragung von Teilzeitarbeit für alle Arbeitnehmer)
Sollten das Europäische Parlament und der Europäische Rat den Vorschlag annehmen, werden die Parlamente der EU-Mitgliedstaaten gezwungen sein, die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. Auf diese Weise wird ein gemeinsamer Ansatz zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für mehr als 500 Millionen Europäer geschaffen.
Weiterführende Literatur:
Lesen Sie unsere eigene Sichtweise auf das Potenzial von Individualisierung und Dual-Career-Couples
Quellen:
Europäische Kommission (2019): Bericht 2019 über die Gleichstellung von Frauen und Männern in der EU.
https://ec.europa.eu/info/sites/info/files/aid_Entwicklung_Kooperation_Grundrechte/ Jahresbericht_ge_2019_de.pdf
Yvonne Lott, Lorena Eulgem (2019): Lohnnachteile durch Mutterschaft – helfen flexible Arbeitszeiten? WSI-Bericht Nr. 49.
https://www.boeckler.de/pdf/p_wsi_report_49_2019.pdf