Im Alltag und bei der Arbeit: Diskriminierung bleibt eine Realität in Deutschland

Ein Drittel der Menschen in Deutschland hat in den letzten zwei Jahren Diskriminierung selbst erfahren. Im Kontext von Arbeit und Beschäftigung ist die Erfahrung besonders häufig. Ja nach Lebensbereich sind die Gründe Alter oder Geschlecht besonders häufig.

Wie verbreitet Diskriminierung in Deutschland ist, darüber wurde immer wieder heftig gestritten. Positionen von „allgegenwärtig“ bis „kommt praktisch nicht mehr vor“ werden von (teilweise selbsternannten) ExpertInnen oder (interessengeleiteten) Verbänden ebenso selbstbewusst wie nicht fundiert vertreten. Eine neue Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, die zwei Befragungen miteinander kombiniert, bringt nun Licht in das Dunkel der Spekulationen.

Eine repräsentative Befragung erhob die (quantitative) Verbreitung von Diskriminierung in Deutschland. In einer ergänzenden schriftlichen Befragung berichteten Menschen von ihren konkreten Diskriminierungserfahrungen.

Aus Diversity-Sicht fällt auf, dass Diskriminierung beim Zugang zu Beschäftigung und am Arbeitsplatz am häufigsten berichtet wird. Das Ergebnis kommentiert Diversity-Experte Michael Stuber mit dem Satz:

„Oberflächliche Aktionen mit bunten Luftballons bewirken keine Veränderung“

 

Nach seiner Beobachtung hätten sich sowohl die Aktivitäten, die Vielfalt bejubeln, als auch jene, die echte Schieflagen problematisieren (z. B. unter der Überschrift „Unconscious Bias“) stark ausgedehnt. „Zu wenige Maßnahmen befassen sich mit dem breiten Mittelbereich zwischen den Extremphänomenen“, erläutert er das Phänomen. Dadurch würden viele nicht in ihrer Lebensrealität abgeholt. Ausgewogene, vielschichtige und differenzierte Strategien seien derzeit die Ausnahme. „Vielfalt feiern ist ebenso wichtig, wie Bewusstsein für Schieflagen zu schaffen“, fasst Stuber zusammen und zieht einen Vergleich mit der Flüchtlingssituation: „Jubelnde Willkommenskultur an Bahnhöfen und heftige Ablehnung lokaler Flüchtlingsunterbringung beschreiben extreme Positionen. Die Realität für die große Mehrheit der Menschen bewegt sich zwischen diesen beiden Enden.“ Ähnlich müsse sich Diversity konkret und pragmatisch mit dem Mittelbereich befassen.

Diskriminierungshäufigkeit korreliert mit Gruppengröße

Wie bereits andere Studien, zeigt auch die aktuelle Erhebung eine Korrelation von Diskriminierung und der Größe der beteiligten Gruppen. Benachteiligungen aufgrund des Alters werden am häufigsten erlebt: Etwa jede siebte Person (14,8 Prozent) gibt an, hier Erfahrungen gemacht zu haben. Aufgrund des Geschlechts bzw. der Geschlechtsidentität wurde laut Befragung fast jede zehnte Person diskriminiert (9,2 Prozent), aufgrund der Religion oder Weltanschauung 8,8 Prozent, der ethnischen Herkunft 8,4 Prozent, einer Behinderung 7,9 Prozent und der sexuellen Orientierung 2,4 Prozent aller Befragten.

Wird Diskriminierung von den Betroffenen als solche erkannt?

Der bislang vorgelegte Bericht konzentriert sich auf die wesentlichen Kernergebnisse bezogen auf die Hauptfragestellungen. Die erhobenen Daten sind nämlich aufgrund des enormen Datenvolumens noch nicht vollständig ausgewertet. Ausführlicher gehen sie in den Bericht an den Deutschen Bundestag ein, den die Antidiskriminierungsstelle 2017 gemeinsam mit den Beauftragten der Bundesregierung vorlegen wird. In dem Bericht sollen auch Handlungsempfehlungen für Politik und Praxis formuliert werden. Hierfür sollte auch die Frage beantwortet werden, inwieweit die Betroffenen eine Diskriminierung (z. B. im Sinne des AGG) als solche wahrnehmen. „Bestimmte Formen von Sexismus und Rassismus sind im Alltag so verbreitet, dass sie nicht auffallen“, fasst Stuber seine Beobachtungen zusammen, die auf seiner Arbeit mit hunderten von Beschäftigten basieren. In seinem Fachbuch „Das AGG in der betrieblichen Praxis“ hat er andererseits die vielen, auch kleinteiligen, Schwachstellen in Personal- und Führungsprozessen sowie Unternehmenskultur beschrieben, wo Diskriminierung auftreten kann.

Konsequent Konsequenzen fordern

Eine höhere Aufmerksamkeit für Diskriminierung ergibt indes vor allem dann Sinn, wenn mit den Erkenntnissen etwas erreicht werden kann. Die größte Gruppe von Betroffenen unternimmt gemäß der aktuellen Studie nichts, wenn sie Diskriminierung erfährt (40,4%). 27,4% versuchen, auf den Vorfall aufmerksam zu machen, 13,6% holen Beratung ein. Nur 17,1 % beschweren sich bei einer öffentlichen Stelle und 6,2% reichen Klage ein. „Solange keine konstruktiven Wege im Umgang mit Diskriminierungserlebnissen üblich sind, wird es ein Minenfeld bleiben“, kritisiert Stuber die verbreitete Ansicht, dass eine Beschwerde häufig als Zerrüttung eines Verhältnisses angesehen wird.

Was tun bei Diskriminierung im Job

Gerade im Kontext Beschäftigung bleibt es für betroffene meist unklar, wie sie sich verhalten sollen, wenn sie Diskriminierung erleben oder vermuten. Die Studie der ADS beschreibt, dass Abwertung, Ausgrenzung und verhinderte Zugänge besonders häufige Phänomene seien – zumal aufgrund des Alters oder Geschlechts. Der Kontakt zum Vorgesetzten erscheint häufig problematisch, da dieser direkt oder indirekt betroffen sein mag. Mitarbeiter der Personalabteilung werden für die spezifischen Fragen eventuell nicht als kompetent angesehen oder sehen sich als „nicht zuständig“ an. Dezidierte Ombudspersonen, wie sie im angelsächsischen und skandinavischen Umfeld verbreitet sind, haben sich in Deutschland bislang nicht etabliert.

Diversity Manager weiterhin gefordert

Auch wenn der Fokus von Diversity-Management seit langem auf den positiven und produktiven Aspekten von Vielfalt liegt, so macht die neue Erhebung doch deutlich, dass weiterhin Verhaltensweisen verbreitet sind, die zu Ausgrenzung, Benachteiligung und einem Klima der Unerwünschtheit führen. Ein Handlungsfeld für Diversity muss daher weiterhin – oder gar verstärkt – die Schärfung der Wahrnehmung und der Reflexion aller Beteiligten sein. Das Bewusstsein für Vielfalt und die damit verbundenen Phänomene und Dynamiken muss dabei deutlich differenzierter erfolgen – jenseits bunter Luftballons – und neben Unconscious Bias auch die simplistischen Botschaften thematisieren, die in den Medien und von der Politik zum Erreichen von Quoten oder Mehrheiten eingesetzt werden.

EU Barometer unterstreicht Handlungsbedarf in Deutschland

Dass der Handlungsbedarf in Deutschland keinesfalls geringer ist als in anderen EU Ländern, zeigt auch das Eurobarometer der EU. Es weist für Deutschland für alle Diskriminierungsfaktoren in einer Bewerbungssituation höhere Werte als der EU Durchschnitt aus (außer für das ohnehin sehr niedrig eingestufte Merkmal „Alter des Bewerbers unter 30“). Die EU Studie zeigt auch, dass in Deutschland die Zustimmung zu Diversity-Maßnahmen geringer und die Widerstände gegen diese Aktivitäten größer sind als im EU Durchschnitt; erhoben wurde die Zustimmung zu bzw. Ablehnung von Trainings und der Überwachung von Einstellungsverfahren oder der Belegschaftsvielfalt.