Gay Marketing 2.0 – VW wirbt mit Regenbogenfamilie

Der Automobilhersteller VW zeigt in einer Marketing-Kampagne für den neuen Sharan unter dem Motto „Familien wissen, warum“ typische Alltagssituationen von Eltern von Heranwachsenden. Das Besondere: gezeigt wird unter anderem auch eine Regebogenfamilie; zwei Väter mit ihrer pubertierenden Tochter. Während schwule und lesbische Paare nichts Neues mehr in der deutschen Werbewelt sind und sogar traditionelle Familienunternehmen wie Brandt mit ihnen werben, ist die TV-Werbung mit Regenbogenfamilien neu. Warum sich Gay-Marketing für Unternehmen lohnen kann und weswegen damit eine weit größere Zielgruppe als nur Lesben und Schwule angesprochen wird, erfahren Sie hier.

Die Marketing-Kampagne umfasst im wesentlichen drei TV-Spots: den „coolen“ Vater, für den sich der Sohn nur allzu häufig fremdschämen muss, die „reizende Tochter“, die ihren Willen nicht durchsetzen kann, aber durch die automatisch schließende Tür am Zuknallen der selbigen gehindert wird, sowie die besagte Regenbogenfamilie.

Die zwei Väter sitzen im Auto mit ihrer Tochter im Teenie-Alter, die mit ihrem Handy Nachrichten verschickt. Neugierig fragt einer der Väter, ob es sich bei dem SMS-Partner und einen Jungen handle; für einen Teenager natürlich ein unangenehmes Thema. Daher ersucht sie ihren anderen „Papa“ um Unterstützung, der, um von dem Gespräch abzulenken, einen Frozen-Yogurt-Laden in der Nähe heraussucht. Der Spot wurde auf Youtube mittlerweile 350.000 Mal angesehen.

In den vergangenen acht Jahren hat sich der Familienbegriff bei VW offenbar einem starken Wandel unterzogen; damals warb VW ebenfalls mit einem schwulen Paar, allerdings zielte der damalige TV-Spot eher auf einen Schock-Effekt als auf gelebte Normalität. Während der Spot damals unter dem Motto „Mehr als ein Familienauto“ den Touran präsentierte und damit Homosexuelle noch nicht (gerade nicht!) unter den Familienbegriff des Konzernes fielen, hat sich das Verständnis einige Jahre, einen irischen Volksentscheid und ein Supreme-Court-Urteil später wohl gewandelt.

Der jüngste Spot überzeugt durch seine Unaufgeregtheit, den Verzicht auf Klischees und die Selbstverständlichkeit mit der die schwulen Väter gezeigt werden, ohne dass dies explizites Thema des Spots ist.

Eine Schätzung aus dem Jahr 2013 ergab, dass in Deutschland etwa 18.000 bis 21.000 Kinder in Regenbogenfamilien leben. Angesichts dieser Zahl erscheint es daher unwahrscheinlich, dass nur homosexuelle Eltern Zielgruppe dieser Werbung sein sollen: Offenheit und Toleranz als gelebte Werte von Diversity & Inclusion sind mittlerweile nicht mehr bloß für die jeweils anvisierte Zielgruppe anhand starrer Diversity-Dimensionen relevant, sondern auch für den „Mainstream“ zu einem wichtigen Faktor geworden, der Ausschlag geben kann bei der Entscheidung für oder gegen den Kauf einer bestimmten Marke. Anders wäre auch die Wirksamkeit von gewissen Boykott-Aktionen kaum zu erklären, beispielsweise gegen Barilla im vergangenen Jahr, die zu einem schnellen und deutlichen Einlenken führte, oder gegen Dolce & Gabbana, unterstützt von diversen Prominenten, aufgrund deren etwas aus der Zeit gefallenen Äußerungen zu Regenbogenfamilien vor einigen Monaten.

Darüber hinaus sind LGBT, ob mit oder ohne Kindern, überdurchschnittlich treu gegenüber Marken bzw. Unternehmen, bei denen sie das Gefühl haben, nicht diskriminiert oder marginalisiert zu werden, sondern mit ihrer sexuellen Orientierung offen akzeptiert zu werden. So gaben in einer Befragung im US-amerikanischen Raum aus dem Jahr 2011 70% der interviewten Personen (volljährige LGBT) an, sich „wahrscheinlich“ oder „sehr wahrscheinlich“ loyal gegenüber einem LGBT-freundlichen Produktanbieter zu verhalten, selbst wenn die (weniger LGBT-freundliche) Konkurrenz z. B. günstigere Preise anbietet. Außerdem gaben 23% der befragten LGBT-Personen an, im Zeitraum eines Jahres einen Produktanbieter gewechselt haben, da sich ein anderer Hersteller unterstützender gegenüber der LGBT-Community gezeigt hat.

Darüber hinaus kann Gay Marketing auch positive Auswirkungen auf weitere Unternehmensbereiche haben: So kann über Werbung auch eine Positionierung als insgesamt LGBT-freundliches oder – noch weiter gehend – insgesamt vielfältiges und einbeziehendes Unternehmen erzielt werden. Dies wiederum hilft z. B. dabei, den Arbeitsmarkt voll auszuschöpfen, die besten Talente anzuziehen und im Unternehmen zu halten, und sich so besser für den „War for Talent“ zu rüsten.