Frau & Schwuler siegen – hat Deutschland Diversity gewählt?

Fast wäre es unserer Aufmerksamkeit entgangen, dass zwei Parteien der neuen Regierung von einer Frau und einem homosexuellen Mann geführt werden. Vor einigen Jahren wäre ein solcher Erfolg schwer vorstellbar gewesen. Aber bedeutet der Sieg auch, dass Vielfalt in die Politik Einzug erhält? Die Wirtschaftsthemen des Wahlkampfs verholfen der christlich-liberalen Koalition zum Sieg. Dagegen griffen vor allem die Grünen gesellschaftliche Vielfalt, Chancengleichheit und Migration als Themen auf. Darüber hinaus fanden Frauenthemen kaum Beachtung. Die Piraten-Partei richtete sich indes mit ihren Themen vor allem an jüngere Wähler, mit ihrem Auftritt an Protestler. Aus dem Stand gelang dies auffallend gut und das langfristige Potenzial dieser Strategie ist enorm. Ansonsten Fehlanzeige zu Diversity im Wahlkampf: Merkels Frausein, Westerwelles Schwulsein und Münteferings Auftritte mit seiner lesbischen Tochter – nichts davon diente als Titel-Thema für (oder gegen) Parteien oder Programme. Dies kann als Triumpf der Sachlichkeit verstanden oder als tayloristische Tendenz der Krisenbewältigung gedeutet werden. Auf den Wahlpartys aller größeren Parteien waren indes Anhänger mit Migrationshintergrund TV-wirksam mitten im Jubelpublikum platziert, das zudem eine hohe Frauenquote aufwies. Auf den Bühnen zeigte sich freilich das bekannte Bild: Ausnahmefrau Merkel umringt von Männern, Strahlemann Westerwelle (selbstredend) ebenfalls. Immerhin dürfen Frauen bei der Pöstchen-Diskussion wieder mitspielen. Für sie kommen weiterhin einige, vor allem niederrangige Ressorts in Frage: Gesundheit, Justiz, Bildung, Familie, Landwirtschaft, Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Umwelt. Für die gewichtigen Ministerien gibt es dagegen drei Arten von Kandidaten: Altgediente, denen sich die letzte Chance bietet, Verdiente, die den Erfolg mit erzielt haben, und Junge, die das Guttenberg-Phänomen wiederholen sollen. Wie im richtigen Leben wundert sich niemand, dass weibliche & junge Kandidaten nach Qualifikation, ältere männliche dagegen nach „Verdienst“ diskutiert werden. In den zentralen Diversity-Themen Gender, Migration, Demographie und Lebensweisen/Familie dürfte sich in der kommenden Legislaturperiode wenig bewegen. Impulse könnten von einem Wechsel der jetzigen Familienministerin ins Gesundheitsministerium ausgehen. Eine Nachfolgerin, zum Beispiel von der FDP, könnte statt einer familien-zentrierten Politik eher den Kurs eines Bürgerministeriums für verschiedene gesellschaftliche Gruppen verfolgen. Spannend wird auch die Frage, ob die Migrationsbeauftragte wieder ins BMFSFJ wechselt – damit bestünde eine Chance auf mehr Kohärenz in Diversity-Fragen. Darauf hat auch die Besetzung des Innenministeriums Einfluss, in dem traditionell ein Teil der Migrationsthemen behandelt wird. Hierfür wird der bisherige Kanzleramtschef de Maiziere gehandelt, der als integrativer als der bisherige Amtsinhaber Schäuble gilt. Wie auch die Besetzungsliste am Ende aussieht: Deutschland hat Diversity-Kandidaten gewählt, wird aber wenig Diversity-Politik bekommen.