Diversity medial: bunt, laut und nur einmal im Jahr

Wenn Vielfalt zum Thema wird, nutzen die Medien meist starke Bilder. Und noch stärkere Worte. Dass dabei die Monokultur implizit als Norm gestärkt wird übersieht selbst die kritische Journaille. Und ob seltene, stets anlassbezogene Berichte wirklich hilfreich sind darf ebenfalls bezweifelt werden.

Sie fühlt sich an wie im Jahre 2001: Die Freude über einen weiteren Medienbericht zu Diversity. Einer, der über die eigenen Filter-Bubble hinausreicht, in der wir uns gegenseitig zu inzestuösen Botschaften gratulieren. Radio, Fernsehen und Printmedien mit hohen Auflagen gehören zu den Bastionen, die Diversity nur erobern kann, wenn Quote – d.h. Interesse bei der Mainstreammasse – garantiert ist. Wenn also HR, Deutsche Welle oder das Magazin der Deutschen Rentenversicherung, ZukunftJetzt, mit Millionenauflage bzw. Zuschauer/hörerInnen berichten, steckt meist etwas dahinter, zum Beispiel

  • Der Deutsche Diversity-Tag, oder ein anderer Thementag
  • Ein schlimmer Vorfall, eine Minderheit betreffend
  • Die Erkenntnis einer Organisation, Vielfalt gestalten zu wollen

Der bunte Strauß als Startpunkt

Geradezu reflexartig beginnen nahezu alle Berichte mit der scheinbar einzig möglichen Ausgangsfrage: Alter, Geschlecht, Behinderung, Herkunft, „sogar“ sexuelle Orientierung – welche Themen gehören zu Diversity und welchen Stellenwert nehmen sie ein? Das Bild des Puzzles – zusammengesetzt aus vielen, erkennbar andersartigen Elementen – ist nur im ersten Moment hilfreich. Passenderweise nutzt das Englische den Begriff ‚puzzling‘ für das deutsche verwirrend. Und tatsächlich führt es auch in der hiesigen Kommunikation vor allem dazu, den Blick wegzulenken vom Bekannten und von dem, was betrieblichen Alltag ausmacht. Das bedeutet leider auch, dass die LeserInnen mentale Umwege in Kauf nehmen müssen, bevor sie zur Relevanz von Diversity in einer digitalen, sich schnell verändernden Welt gelangen, in der offene Geisteshaltung und ein konstruktiver Umgang mit vielfältigen Sichtweisen und Stärken überlebensnotwendig sind.

Hier zwei Medienberichte, in denen der reine Vielfaltsansatz <1 kritisch beleuchtet <2 wird.

Wettstreit statt Wirgefühl

Im Zuge zahlreicher gesellschaftlicher Initiativen und Kampagnen entstand zudem eine Konkurrenzsituation um Aufmerksamkeit und Ressourcen: Plattformen, Ratings, Rankings und Netzwerke bieten themenspezifische Aktivitäten an, deren Einordnung und Auswahl für Unternehmen schwierig ist und häufig charitativ oder geschmäcklerisch endet. Eigentlich bot sich Diversity als verbindendes Konzept an – jenseits von Aktionismus, Publicity und Agenda-Setting.

Auch innerhalb von Unternehmen wirkt die Delegation von Diversity an Beauftragte, ManagerInnen oder Beschäftigtennetzwerke mitunter ausgrenzend – sowohl auf die ‚betroffenen‘ Gruppen wie auch auf die meist deutsche, männliche Mehrheit mittleren Alters. Nach über 20 Jahren Diversity erscheint dies unnötig: Wertebasierte Unternehmenskulturen mit Verhaltensankern ermöglichen eine Sinnstiftung für Vielfalt, Offenheit und Einbeziehung mitten in der Organisation – und für Alle gleichermaßen relevant.

Diese Miniserie thematisiert die Skalierung von D&I

Proaktive Politik gegen böse Branchen

Ein weiteres Mantra zieht sich durch die Medienberichte: Der Glaube an die konstruktive Wirkung gesetzlicher Vorgaben. Zweifellos haben politische Positionierungen dazu geführt, dass sich Vorstände heute mehr mit Diversity beschäftigen als vor 10 Jahren. Fraglich ist, ob sie dies mit dem gewünschten Fokus und mit dem gewollten Antrieb tun. Zudem bleibt offen, wie in den Themenfeldern ohne rechtliche Regelung jenseits des AGG Traktion entstehen soll. Ethnie, Herkunft, Alter und Religion sind Bereiche, die unter dem gesetzlichen „Antrieb“ für andere Faktoren merklich gelitten haben.

Unsere Daten zeigen, dass die Privatwirtschaft ohne Frauenquote 10 jahrelang mehr Fortschritt gemacht hatte als öffentliche Arbeitgeber mit Gleichstellungsgesetz, und dass die Behindertenquote einen begrenzenden Nebeneffekt hat.

Branchenvergleiche beinhalten eine gewisse Verwandtschaft zur Frage der Regulierung: Wer steht besser da – wer macht mehr Fortschritte? Diese Diskussion offenbart mehr Stereotype der Teilnehmer als sie Informationsgehalt bietet. Denn so groß die Diversity-Unterschiede z. B. zwischen den Bundesministerien sind, so groß sind sie zwischen Unternehmen. Heute verlaufen Trennlinien eher

  • zwischen Unternehmen mit ausgeprägtem Selbstbewusstsein und denen, die selbstkritisch Analysen vornehmen
  • zwischen öffentlichkeitsorientierten Konzernen und intrinsisch motivierten Familienunternehmen
  • zwischen global verpflichteten Firmen und sachlich-konstruktiven Technologiefirmen

als zwischen Branchen. Die als besonders innovativ, modern und aufgeschlossenen Start-Up Branchen weisen unserer Erfahrung nach erhebliches D&I Entwicklungspotenzial auf – ähnlich wie andere Umfelder, die sich selbst als besonders führend ansehen. Themenspezifisch finden sich zudem regionale Besonderheiten.

Anti-Rassismus-Haltung europäischer Konzerne

So hat Deutsche Welle TV auf kritische Art und Weise die Haltung von US und europäischen Konzernen im Kontext der BlackLivesMatter Bewegung diskutiert. Mit ihrem weltweiten Auftrag zeigten die Fernsehmacher mit diesem Beitrag, dass D&I im regulären Programm einen durchaus prominenten Platz einnehmen kann. Ohne aktuellen Anlass thematisierte der Sender, wie Konzerne beiderseits des Atlantiks ihre Grundwerte und ihre Haltung zu D&I im Kontext öffentlicher Rassismusdebatten zeigen können – und wo dies wenig sichtbar ist.

http://en.diversitymine.eu/deutsche-welle-tv-bold-corporate-racialequity-moves-also-in-europe/

Wenn es etwas zu feiern gibt

Weitaus häufiger sind indes Medienberichte aus Anlass dezidierter Thementage, wie zum Beispiel eine mehrteilige Berichterstattung von HR-Info zum deutschen Diversity-Tag. Die RedakteurInnen bemühten sich ebenfalls, kritisch zu hinterfragen, welche Initiativen einen höheren Publicity Faktor hatten bzw. wodurch echte Change-Wirkung entfaltet wird.

https://www.hr-inforadio.de/sendezeiten/aktuell,epg-mo-8410.html

Als Unterzeichnerin der selbstverpflichtenden Charta der Vielfalt nutzte die Deutsche Rentenversicherung ihren Zugang zu Unternehmen und produzierte eine Titelstory zum „Erfolgsfaktor Diversität“ – sie nimmt rund die Hälfte des Heftinhaltes ein. Die Sommerausgabe 2021 erschien terminlich und thematisch zwischen Diversity-Tag und CSD bzw. Pride Week/Month, und folgt deutlich sichtbar der eingangs erwähnten Puzzle-Logik. Das bei Axel Springer Corporate Solutions verlegte Medium schöpfte die visuelle Bandbreite von Getty-Images für die Illustration aus. Wie sich dieser Ansatz an der Realität reibt lässt sich am Vergleich des Titelbildes mit dem werblichen Einleger bemessen: Bunte, laute Vielfalt trifft – einmal im Jahr – auf Outdoor Bekleidung: Atlas for Men – made for adventure. (s. unten)

https://zukunft-jetzt.deutsche-rentenversicherung.de/berlin/archiv/ausgabe-022021/

Einbeziehende Kommunikation & Führung im Alltag

Bunte Berichterstattung, vielfältige Events und spezifische Netzwerke und andere Formate verhalfen D&I zu Bekanntheit und Anerkennung. Dass dies keine Eintrittskarte in den Alltag ist zeigt die hart geführte Diskussion über das Gendersternchen. Auch in dieser Frage könnte die Kommunikationsfunktion der Unternehmen führend sein – agiert jedoch meist als Gralshüterin. Mit Fachworkshops an der Schnittstelle von D&I und Kommunikation lassen sich hier auf sachliche Art und Weise Fortschritte erzielen. Für die weitere Gestaltung der Unternehmenskultur empfiehlt sich die zeitgemäße Einbindung der Belegschaft über Communities und der Einsatz von Change-Agents. Hier zeigt sich, dass traditionelle Netzwerke ebenfalls in Transformation stehen.

http://ungleich-besser.de/umsetzung/unternehmenskultur-beschaeftigte/

Change-ExpertInnen fragen sich bei all diesen Themen: Wo bleiben die Führungskräfte in der Geschichte. Nun, sie stehen im Zentrum aller Anstrengungen und werden über „Inclusive Leadership“ tatsächlich mit einem Fokus auf den Alltag eingebunden. Während simplistische Lösungen („mehr Empathie“, „besser Zuhören“) sicherlich zu kurz greifen, zeigt die Führungskräfteentwicklung, die an alltäglichen Herausforderungen und Prioritäten ansetzt sowohl Akzeptanz wie auch Wirkung. Hier wird deutlich, dass Vielfalt nicht immer bunt sein muss und nicht nur einmal pro Jahr relevant ist.

http://ungleich-besser.de/umsetzung/d-i-management-und-fuehrungskultur/

 

Illustration zum Magazin der Deutschen Rentenversicherung (2021)

Text-Bild-Schere der Titelstory Diversität ZukunftJetzt 02/21

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