Diversity als Führungsaufgabe: Das Thema sexuelle Orientierungen und Identitäten DGFP-Kongreß „Potenziale entfalten – Zukunft gestalten“

Jeder Mensch stellt eine einzigartige Kombination verschiedener Faktoren dar. Als von Natur aus gegeben und insofern praktisch nicht veränderbar gelten Alter, Geschlecht, Befähigung oder Behinderung, religiöse bzw. Glaubensprägung, ethnische bzw. kulturelle Prägung oder Rasse sowie sexuelle Orientierung. Diese sechs sogenannten Kerndimensionen stellen in zahlreichen praktischen Leitfäden sowie in gesetzlichen Rahmenbedingungen seit vielen Jahren gängige Eckpunkte für Anti-Diskriminierungs-, Chancengleichheits- und Diversity-Arbeit dar. Nach einer Untersuchung von mi•st [ DiversityConsulting unter zwanzig international führenden Konzernen in Europa erscheint der Aspekt „sexuelle Orientierung“ (zusammen mit „Religion“) am seltensten auf der Liste der explizit berücksichtigten Vielfalts-Facetten. Während 14 Unternehmen angaben, unterschiedliche sexuelle Orientierungen konzeptionell bewusst in ihre Diversity-Arbeit einzuschließen, nannten nur sieben diese Dimension auch in der Liste der aktiv bearbeiteten Themen. Dieses Ergebnis steht in erkennbarem Gegensatz zu der Beobachtung, dass die natürliche (sexuell begründete) Anziehung von Mann und Frau ein bereits vollständig akzeptiertes und integriertes Thema in Unternehmen darstellt: In Gesprächen wird der private Umgang mit Partnern oder Partnerinnen ausgetauscht, Eheringe symbolisieren die jeweilige Verbindung und Photos der besseren Hälfte runden das Bild ab. Auch in der Werbung finden gegen- bzw. gemischt-geschlechtliche Motive – auch in sexualisierten Ausprägungen – Anwendung. Für homosexuelle Aspekte trifft keiner dieser Punkte in nennenswertem Umfang zu. Tatsächlich scheint „sexuelle Orientierung“ in ihrer gleich-geschlechtlichen Ausprägung eines der letzten Tabus in Unternehmen darzustellen. Dies, obwohl die Medien, die Gesellschaft und im letzten Jahr (2001) auch die Politik (in Form des Lebenspartnerschaftsgesetztes) eine weitgehend selbstverständliche Normalität und Integration von Schwulen und Lesben erreicht haben. Auch in der Werbung erscheinen seit 1999 zumindest vereinzelt homosexuelle Motive als absatzfördernde Botschaften. Noch ausgeprägter stellt sich das Bild im Bereich „sexueller (geschlechtlicher) Identität“ dar. Das Thema „Transsexualität / Trans-Gender“ findet in der allgemeinen (betrieblichen) Geschlechter-Diskussion nahezu keine Beachtung. Statt dessen wird es im Zusammenhang mit sexueller Orientierung (sachfremd) diskutiert und gemeinsam mit Homo- und Bisexualität bearbeitet. Dies entspricht dem amerikanischen Ansatz der „sexual minorities“. Aus wirtschaftlicher Sicht, wenn diese der Maßstab sei, spricht nichts gegen, aber umso mehr für eine aktive Berücksichtigung sexueller Minderheiten im Rahmen von Diversity. Zunächst stellt dies zunehmend eine Notwendigkeit dar, da der Stolz und die Sichtbarkeit von Schwulen und Lesben in den letzten Jahren erheblich zugenommen hat. Rein zahlenmäßig finden wir hier übrigens seit 1995 den markantesten Trend aller demographischer Veränderungen in Deutschland. Dieses gestiegene Selbstbewusstsein führt auch dazu, dass homosexuelle Frauen und Männer nicht länger bereit sind, einen wesentlichen Teil ihrer Persönlichkeit am Arbeitsplatz zu verbergen, damit zusammenhängende Fähigkeiten nicht zu nutzen oder diesbezüglich in Frage kommende Vergünstigungen nicht zu erhalten. Weiterhin verspricht die Einbeziehung dieser MitarbeiterInnen-Gruppe zahlreiche quantitative und qualitative Verbesserungen im Unternehmen. Durch das Nicht-länger-Verstecken setzen Schwule und Lesben (d. h. rund 7 Prozent der Belegschaft) circa 15 Prozent Produktivität frei, die sie zuvor auf die aktive Anpassung an die heterosexuelle Monokultur verwendet haben. Außerdem kommen nun potentiell alle zur Verfügung stehenden Fähigkeiten im Betrieb zum Einsatz. Die neue Sicherheit bindet den/die MitarbeiterIn an das Unternehmen, da diese bei alternativen Arbeitgebern im allgemeinen nicht gegeben sein wird. Weitere Vorteile ergeben sich auf dem Arbeitsmarkt. Es werden nicht nur neue Kandidaten-Potentiale aktiviert, in den Augen der künftigen Generationen steigt das Personal-Image insgesamt. Zusätzlich verfügen homosexuelle MitarbeiterInnen über ein besonderes Spektrum an Schlüsselqualifikationen, die zunehmend im Betrieb benötigt werden. Für die Berücksichtigung von „sexueller Orientierung“ im Unternehmen bietet sich der Diversity-Kontext an. Die angestrebte Normalität und Selbstverständlichkeit wird in diesem Rahmen am besten und einfachsten erreicht. Als Aktionsfelder bieten sich Netzwerke, Interne Kommunikation, Benefits, Trainings, Recruiting, Mainstreaming, Marketing sowie Presse- und Öffentlichkeitsarbeit an. Die konkrete Umsetzung dieser Maßnahmen sollte geplant stattfinden und mit moderaten Erwartungen an die Mitwirkung schwuler und lesbischer MitarbeiterInnen verknüpft sein. Im Workshop werden Hintergründe und Implementierung konkret bearbeitet.