Bias behindert die Nutzung internationaler Potenziale

Die immer internationalere Wirtschaft benötigt nicht nur Fachkräfte, sondern auch inter-kulturelle Vielfalt. Ausländische Studierende mit deutschem Abschluss wären ideal, jedoch gelingt ihnen der Berufseinstieg eher mühevoll – so eine aktuelle SVR-Studie. Eine weitere Untersuchung, ebenfalls vom SVR, zeigt: Wer ‚anders‘ aussieht stößt auf Ablehnung.

Deutschlands Wirtschaft ist auf Zuwanderung angewiesen – sowohl, um den Fachkräftemangel in einigen Branchen oder Regionen zu dämpfen, aber auch um internationale Geschäftsmodelle zu stützen. Neben AbsolventInnen im Ausland sind internationale Studierende in Deutschland schon längst im Visier. Mögliche Fragen rund um die Anerkennung ausländischer Abschlüsse betreffen die mehr als 250.000 ‚Bildungsausländerinnen und –ausländer‘ an deutschen Hochschulen nicht. Zudem sind sie nach Studienabschluss in der Regel mit der hiesigen Kultur und Sprache gut vertraut. Dennoch verlassen viele dieser Traumtalente Deutschland mitsamt ihrem Abschluss – darunter die Besten. Eine neue Studie des Sachverständigenrates Integration und Migration (SVR) erforschte die Gründe hierfür und zeigt auf, wie der Übergang „Vom Hörsaal in den Betrieb“ gelingen kann.

Ein perfektes Arbeitsmarktsegment

Für die Längsschnittstudie befragten die ForscherInnen zunächst 4.807 Studierende (2015) an 50 Hochschulen in ihrer Abschlussphase und luden diese 18 Monate später erneut ein, um ihre berufliche Entwicklung zu analysieren. Aus Diversity-Sicht fällt zunächst die Demographie der Stichprobe (N=419) mit hohen Anteilen von

  • Drittstaatenangehörige (d.h. nicht EU)
  • MasterstudentInnen
  • MINT –Studienfächer
  • Freiwilliges Engagement
  • Bleibeabsicht in Deutschland
  • Gute oder sehr gute Deutschkenntnisse und/oder Englisch als Studiensprache

Auch wenn dieses Profil nicht repräsentativ für ausländische Studierende sein mag, so zeigt es doch, welche Potenziale im hiesigen Arbeitsmarkt zu finden sind – und dass sie nicht optimal genutzt werden. Denn, so die Studie, gehen 18 Monate nach der Erstbefragung nur 4 von 10 AbsolventInnen einer Erwerbstätigkeit nach, die ihren Lebensunterhalt sichert. 3 von 10 sind (noch) auf Arbeitssuche. Die restlichen sind abgewandert. [NB: Jene, die weiterhin studieren, wurden in der zweiten Welle nicht befragt, da die Studie den Übergang in den Beruf im Fokus hatte.]

Gründe auf Seiten der Studierenden analysiert

Nach Abschluss ihres Studiums sind die Befragten mehrheitlich geblieben, darunter auch solche, die das ursprünglich nicht geplant hatten. „Fachlich sind sie gut, aber oft fehlen ihnen die Fertigkeiten, Erfahrungen und Netzwerke, die den Berufseinstieg in einem deutschen Unternehmen erleichtern würden“, legt Dr. Cornelia Schu, Direktorin des SVR-Forschungsbereichs dar. Andererseits zeigt die Studie auch: Ausländische AbsolventInnen zeigen bereits durch ihr Studium in Deutschland besondere Initiative und Mobilität. Beides macht sie zu gefragten Talenten, denen weltweit Karriereoptionen offenstehen. Von denen, die Deutschland nach Studienende verlassen, geben 36 Prozent an, hierzulande keinen angemessenen Arbeitsplatz gefunden zu haben. Rund 40 Prozent nennen ein attraktives Arbeitsangebot im Ausland als Ausreisegrund. „Nicht nur die, die das Studium vorzeitig abbrechen, sondern auch die überdurchschnittlich guten Absolventinnen und Absolventen wandern eher ab.“, so Dr. Schu. Dies könnten die Hochschulen und die Wirtschaft mit entsprechenden Rahmenbedingungen vermeiden.

Die Studie fokussiert indes vor allem darauf, was ausländische Studierende tun könnten, um sich den Berufseinstieg in einem deutschen Unternehmen zu erleichtern. Erfahrungen in der beruflichen Praxis schon während des Studiums sind das A und O und es hilft, wenn die Entscheidung für eine Zukunft hierzulande früh fällt. Ebenso das Wissen, wie Bewerbungsverfahren ablaufen, sind nach Analyse der Studie entscheidend für eine erfolgreiche Arbeitsplatzsuche. Je länger die Praxiszeiten und je eher sie dem Studienfach entsprechen, desto höher die Bleibewahrscheinlichkeit. Nebentätigkeiten ohne Bezug zum Studienfach begünstigen den Verbleib dagegen nicht.

Regionales Übergangsmanagement statt kulturellem Diversity-Management?

Neben den Empfehlungen an ausländische Studierende stellt die Studie fest: „Für die Gestaltung des Übergangs in den Arbeitsmarkt braucht es ein strategisches und koordiniertes Vorgehen aller relevanten Akteure innerhalb und außerhalb der Hochschule, insbesondere aus Wirtschaft und Arbeitsmarkt. Dafür ist ein ‚regionales Übergangsmanagement‘ von großem Nutzen, das im Übrigen allen Studierendengruppen zugutekommt.“ Tatsächlich haben sich erste Kooperationsprojekte bereits darin bewährt, Lücken oder Doppelungen in der Angebotsstruktur aufzudecken (z. B. wenn eine Hochschule

mehrere Angebote der Berufsberatung pflegt, von denen sich aber keines speziell an internationale Studierende richtet). Allerdings, so die aktuelle Studie, sei die Koordination vieler Netzwerken in Unternehmens- und Wirtschaftsverbänden angesiedelt, die nicht unbedingt die frühzeitigen Erfolgsfaktoren (während der Studienphase) im Blick haben, die nunmehr deutlich wurden.

Inwiefern Unternehmen durch ein verbreitertes oder differenzierteres Bewerbermanagement reagieren könnten, hat die Studie nicht diskutiert. Die umfassende Integration von Diversity in Such- und Auswahlverfahren wie auch bereits das Employer Branding und besonders das Hochschulmarketing bietet hier potente Möglichkeiten, internationale Studierende nicht durch unerwünschte Filtermechanismen zu benachteiligen.

Möglicher Zusatzfaktor: Das ‚fremdländische‘ Aussehen?

Weitere Hinweise auf Schieflagen in ganz anderer Hinsicht gibt eine weitere Studie des SVR vom Januar 2018. Diese analysierte – anders als die zuvor erwähnte AbsolventInnenstudie – repräsentative Daten des SVR-Integrationsbarometers 2016. Demnach fühlen sich Menschen, deren Äußeres auf eine Zuwanderungsgeschichte hinweist, weitaus häufiger diskriminiert als Zugewanderte, deren Erscheinungsbild sich nicht durch Merkmale wie Hautfarbe oder Kopftuch von der Mehrheitsbevölkerung abhebt. Sie berichten zu 48 Prozent von erlebter Diskriminierung, und sogar zu 59 Prozent, wenn sie zusätzlich Deutsch mit einem Akzent sprechen. Dagegen berichten Menschen, die zwar einen Migrationshintergrund haben, sich aber nicht sichtbar oder hörbar von der Mehrheitsbevölkerung unterscheiden, davon nur zu 17 Prozent. Eine offenkundig andere Herkunft wird in Deutschland also als Nachteil erlebt.

Große ethnische und religiöse Unterschiede

Die Untersuchung, die von der Stiftung Mercator gefördert wurde, zeigt auch: Die Diskriminierungserfahrungen unterscheiden sich zwischen den Herkunftsgruppen erheblich. Während 54 Prozent der Menschen türkischer Herkunft Diskriminierung erleben, ist dies bei Zugewanderten aus der EU mit 26 Prozent deutlich seltener der Fall. Spät-/Aussiedlerinnen und Spät-/Aussiedler liegen mit 34 Prozent ebenso wie Personen mit einem Migrationshintergrund aus der „übrigen Welt“ mit 40 Prozent dazwischen. Einen großen Effekt hat auch die Religionszugehörigkeit von Menschen mit Migrationshintergrund: Zugewanderte muslimischen Glaubens berichten deutlich häufiger davon, sich diskriminiert zu fühlen (55 %), als Zugewanderte mit christlicher (29 %) oder ohne Religionszugehörigkeit (32 %). Diese subjektiven Einschätzungen der Betroffenen dient als Indikator, ob und wie stark Herkunft als Barriere für gleichberechtigte Teilhabe empfunden wird.

Die Untersuchung des SVR-Forschungsbereichs beruht auf den Daten des SVR-Integrationsbarometer 2016. Dafür wurden bundesweit 5.396 Personen befragt, davon über 4.000 mit und rund 1.300 Personen ohne Migrationshintergrund; die Befragung erfolgte zwischen März und August 2015. Die Ergebnisse sind repräsentativ.

Der Sachverständigenrat geht auf eine Initiative der Stiftung Mercator und der VolkswagenStiftung zurück. Ihr gehören sieben Stiftungen an: Stiftung Mercator, VolkswagenStiftung, Bertelsmann Stiftung, Freudenberg Stiftung, Robert Bosch Stiftung, Stifterverband und Vodafone Stiftung Deutschland.

Weitere Informationen zu den erwähnten Studien und zum Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) finden Sie hier http://www.svr-migration.de